Zaertlich ist die Nacht
Morgen abreisen.
»Geht es nach Hause?«
»Nach Hause? Ich hab kein Zuhause. Ich will in den Krieg ziehen.«
»Welchen Krieg?«
»Welchen Krieg? Irgendeinen Krieg. Ich hab in letzter Zeit keine Zeitung gelesen, aber irgendwo gibt es bestimmt einen Krieg – es gibt immer einen.«
»Ist es Ihnen denn gar nicht wichtig, wofür Sie kämpfen?«
»Überhaupt nicht – solange man mich anständig behandelt. Wenn ich in einer Sackgasse stecke, besuche ich immer die Divers, denn ich weiß genau, ein paar Wochen später will ich dann in den Krieg ziehen.«
Rosemary erstarrte. »Ich dachte, Sie mögen die Divers.«
»Natürlich. Besonders sie. Aber trotzdem treiben sie mich in den Krieg.«
Sie dachte darüber nach, gelangte aber zu keinem Ergebnis.
Sie
hatte das Gefühl, für immer in der Nähe der Divers bleiben zu wollen.
»Sie sind zur Hälfte Amerikaner«, sagte sie, als ob das eine Lösung des Problems wäre.
»Ich bin aber auch zur Hälfte Franzose. 2* Erzogen worden bin ich in England, und seit ich achtzehn bin, habe ich die Uniformen von acht verschiedenen Ländern getragen. Ich hoffe, ich habe jetzt nicht den Eindruck vermittelt, dass ich die Divers nicht mag. Ich mag sie sehr – ganz besonders Nicole.«
|52| »Man kann sich dagegen nicht wehren«, sagte sie einfach.
Sie fühlte sich abgestoßen von ihm. Ihr gefiel der Unterton seiner Worte nicht, und sie bemühte sich, ihre Bewunderung für die Divers vor seiner obszönen Bitterkeit zu beschützen. Sie war froh, dass er beim Abendessen nicht neben ihr sitzen würde, und als sie durch den Garten zu Tisch gingen, dachte sie immer noch darüber nach, was er wohl gemeint hatte, als er »besonders Nicole« sagte.
Auf dem Gartenweg geriet sie für einen Augenblick in die Nähe Dick Divers, und neben seiner harten, sauberen Klarheit verblasste das alles in der Gewissheit, dass er ohnehin alles wusste. Seit einem Jahr, einer ganzen Ewigkeit also, besaß sie jetzt Geld und eine gewisse Berühmtheit. Sie war in Berührung gekommen mit Prominenten, aber gerade Letztere hatten sich lediglich als bloße Vergrößerungen der Leute erwiesen, mit denen die Witwe des Arztes und ihre Tochter in den Pariser Pensionen zu tun gehabt hatten. Rosemary war eine Romantikerin, aber ihre Karriere hatte ihr in dieser Richtung nicht viele Möglichkeiten eröffnet. Die zahlreichen Reize und Angebote von allen Seiten hatte ihre Mutter, die an Rosemarys Karriere dachte, als überflüssige, störende Surrogate erkannt und nicht toleriert. In der Tat war Rosemary auch schon darüber hinaus – sie wusste, dass sie zwar einen Film gedreht hatte, aber noch nicht »beim Film« war. Als sie daher am Gesicht ihrer Mutter sah, dass sie Dick Diver für gut befand, bedeutete das in ihren Augen, dass er »das Richtige« für sie war und dass sie Erlaubnis hatte, so weit zu gehen, wie sie nur konnte.
»Ich habe Sie beobachtet«, sagte er, und sie wusste, dass er das ernst meinte. »Wir haben Sie sehr lieb gewonnen.«
|53| »Ich habe mich gleich am ersten Tag in dich verliebt«, sagte sie leise.
Er tat so, als hätte er das nicht gehört, so als wäre es bloß ein höfliches Kompliment.
»Neue Freunde«, sagte er, als wäre das irgendwie wichtig, »haben oft mehr Spaß miteinander als alte.«
Nach dieser Bemerkung, die sie nicht ganz verstand, saß Rosemary auch schon am Tisch, der sich, beleuchtet von vielen Lichtern, immer strahlender von der Dämmerung abhob. Mit freudiger Überraschung stellte sie fest, dass Dick ihre Mutter an seine rechte Seite genommen hatte; sie selbst hingegen saß zwischen Campion und Brady.
Unter der Überlast ihrer Gefühle wandte sie sich an den Regisseur, um sich ihm anzuvertrauen, aber schon bei der ersten Erwähnung des Gastgebers erschien ein zynischer Funke in seinen Augen und gab ihr zu verstehen, dass Brady nicht bereit war, diese väterliche Rolle zu übernehmen. Im Gegenzug war sie genauso entschieden, als er ihre Hand mit Beschlag zu belegen versuchte. Also redeten sie über die Arbeit, oder besser gesagt: Rosemary hörte ihm zu, während er von seiner Arbeit erzählte. Ihre höflichen Augen verließen nie sein Gesicht, aber ihre Gedanken waren so offensichtlich woanders, dass sie Sorge hatte, er würde es merken. In unregelmäßigen Abständen erfasste sie die Kernpunkte seiner Ausführungen und ergänzte den Rest aus dem Unterbewusstsein, so wie man die Uhrzeit ermittelt, indem man die ersten, noch ungezählten Schläge der Turmuhr aus
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