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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Sätze formulierte, die nicht richtig herauskamen. »Sie sind das aller-, eins von den   –«
    Sie fand das alles bedauerlich, und seine schmutzigen Hände recht abstoßend, aber sie lachte so wohlerzogen, als |166| wäre es nichts Ungewöhnliches für sie, einen Mann zu sehen, der in einem langsamen Albtraum herumwanderte. Die Menschen bezeugen Betrunkenen oft einen eigenartigen Respekt, ähnlich wie die Naturvölker sich gegenüber Geisteskranken voll Ehrfurcht verhalten. Weniger Furcht als Respekt. Ein Mann, der alle Hemmungen verloren hat und alles Mögliche tun kann, hat offenbar etwas Ehrfurcht gebietendes. Natürlich lassen wir ihn für diesen Augenblick der Überlegenheit später bezahlen.
    Abe wandte sich mit einer letzten Bitte an Dick: »Wenn ich jetzt in ein Hotel gehe, eine Weile schlafe, diese Senegalesen vertreibe, ein Dampfbad nehme, mich ordentlich kämme und aufbügeln lasse   – darf ich dann heute Abend wiederkommen und mit euch am Kamin sitzen?«
    Dick nickte ihm weniger zustimmend als spöttisch zu. »Du scheinst deine gegenwärtigen Fähigkeiten ziemlich hoch einzuschätzen.«
    »Ich wette, wenn Nicole da wäre, würde sie mich zurückkommen lassen.«
    »Na, schön.« Dick ging zu seinem Koffer, holte ein Kästchen heraus und stellte es auf den Tisch. Im Inneren waren zahllose Buchstabenkärtchen. »Du kannst Anagramm mit uns spielen.«
    Abe betrachtete den Inhalt des Kästchens mit so viel Widerwillen, als hätte man ihn aufgefordert, die Kärtchen zu essen wie Haferflocken. »Was sind denn Anagramme? Hab ich nicht schon genug komische   –«
    »Es ist ein sehr ruhiges Spiel. Man buchstabiert Wörter   – alle möglichen Wörter, nur nicht A-L-K-O-H-O-L.«
    »Ich wette, man kann Alkohol damit buchstabieren.« Abe tauchte seine Hand in das Kästchen. »Darf ich wiederkommen, wenn ich Alkohol buchstabieren kann?«
    |167| »Du kannst wiederkommen, wenn du Anagramm spielen willst.«
    Abe schüttelte resigniert den Kopf. »Wenn du in dieser Laune bist, hat es wohl keinen Zweck   – ich wäre euch nur im Weg.« Er drohte Dick vorwurfsvoll mit dem Finger. »Aber denk dran, was George III. gesagt hat: Wenn Grant betrunken ist, 2* dann wäre ich froh, wenn er die anderen Generäle beißen würde.«
    Mit einem letzten verzweifelten Blick auf Rosemary aus seinen goldenen Augenwinkeln ging er hinaus. Zu seiner Erleichterung war Peterson nicht mehr auf dem Flur. Heimatlos und verloren ging Abe zu Paul zurück, um ihn nach dem Namen des Schiffes zu fragen.

25
    Als Abe hinausgestolpert war, umarmten sich Dick und Rosemary flüchtig. Ein leichter Hauch von Pariser Staub schien sie zu umgeben, durch den hindurch sie sich witterten: Dicks Füllfederhalter mit seiner Kappe aus Hartgummi, der warme Duft von Rosemarys Schultern und Hals. Eine halbe Minute klammerte Dick sich noch an die Situation, während Rosemary zuerst in die Realität zurückkehrte.
    »Ich muss gehen, junger Mann«, sagte sie.
    Sie sahen sich mit zuckenden Lidern über eine zunehmende Distanz hinweg an, dann machte Rosemary jenen Abgang, den sie schon früh gelernt hatte und den kein Regisseur je zu verbessern versucht hatte.
    Sie machte die Tür ihres Zimmers auf und ging direkt zum Schreibtisch, wo ihre Armbanduhr liegen musste, an die sie sich gerade erinnert hatte. Beim Anlegen der Uhr fiel |168| ihr Blick auf den täglichen Brief an die Mutter, und sie begann innerlich den letzten Satz zu vollenden. Dann wurde ihr ganz allmählich bewusst, dass sie nicht allein war.
    In jedem bewohnten Raum gibt es Gegenstände, die das Licht widerspiegeln, was wir aber meist nur unbewusst wahrnehmen: lackiertes Holz, poliertes Elfenbein, Silber und Messing sowie tausend andere Übermittler von Licht und Schatten, die so dezent sind, dass wir sie gar nicht als solche erkennen: Bilderrahmen, die Kanten von Aschenbechern und Bleistiften, Geschirr und Kristallgläsern. Die Gesamtheit dieser Reflexe, die auf subtile Weise unsere Sehnerven und jene Teile unseres Unterbewusstseins und unserer Assoziationen beeinflussen, an denen wir genauso festhalten wie ein Glaser an unregelmäßig geformten Scheiben, die vielleicht irgendwann nützlich sein könnten, erklärte vielleicht, warum Rosemary plötzlich auf, wie sie später sagte, »rätselhafte Weise« bemerkte, dass noch jemand im Zimmer war. Sie wusste nicht, woher sie es wusste, aber als sie es wusste, drehte sie sich mit einer tänzerischen Bewegung um und sah, dass ein toter Schwarzer auf ihrem

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