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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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der Lärm, als ob sie auf den weiten Schneefeldern in atavistischer Furcht auf Wolfsgeheul horchen müssten.
    In Saanen stürzten sie sich in den städtischen Tanz, mischten sich unter die Viehhirten, Zimmermädchen, Ladenbesitzer, Skilehrer, Bergführer, Touristen und Bauern. Nach den pantheistischen, animalischen Gefühlen im Freien wieder in ein enges, warmes Gebäude zu kommen, war so ähnlich, als ob man mit einem absurden, donnernden Adelstitel daherkäme, sporenklirrend wie ein Ritter im Krieg oder mit den Stollen klappernd wie ein Fußballspieler in der Kabine. Traditionelles Jodeln ertönte, und der vertraute Rhythmus riss Dick aus allem heraus, was er zunächst romantisch gefunden hatte. Zunächst glaubte er, das läge daran, dass er das junge Mädchen endlich aus seinem Bewusstsein vertrieben hatte, aber dann wurde ihm klar, was es war.
Wir müssen sorgfältig darüber nachdenken
– hatte Baby gesagt. Und dahinter standen die ungesagten Worte: Du gehörst uns, und das wirst du früher oder später auch einsehen. Es ist absurd, einen Anspruch auf Unabhängigkeit zu behaupten.
    Es war Jahre her, dass Dick bösen Willen gegen jemand gehegt hatte. Seit seinem ersten Jahr in Yale, als er einen populärwissenschaftlichen Aufsatz über »seelische Hygiene« |273| gelesen hatte, war das nicht mehr vorgekommen. Jetzt war er wütend auf Baby und versuchte es zugleich zu verbergen. Er war wütend über ihre kalte, reiche Geldarroganz. Obwohl es einige Frauen gab, die zu diesem Thema vorsichtige Lippenbekenntnisse ablegten, würde es noch Hunderte von Jahren dauern, bis die heranwachsenden Amazonen begreifen würden, dass ein Mann nur in einem Punkt wirklich verletzlich ist: seinem Stolz   – dort aber ist er zerbrechlicher als Humpty-Dumpty.
    Doktor Divers Beschäftigung mit den zerbrochenen Eierschalen der menschlichen Seele hatte ihn gelehrt, jedweden Bruch zu fürchten und zu vermeiden. Und doch sagte er jetzt auf der Rückfahrt nach Gstaad im geschmeidigen Schlitten: »Es gibt viel zu viel gute Manieren.«
    »Das ist doch schön«, sagte Baby.
    »Nein, ist es nicht«, sagte er zu dem anonymen Pelzbündel. »Gute Manieren sind nur das Eingeständnis, dass wir alle so empfindlich sind, dass wir mit Samthandschuhen angefasst werden müssen. Natürlich braucht man menschlichen Respekt, man nennt niemanden leichtfertig einen Feigling oder Lügner, aber wenn man sein ganzes Leben damit verbringt, die Gefühle der Leute zu schonen und ihre Eitelkeit zu füttern, dann kommt man schließlich an einen Punkt, wo man gar nicht mehr erkennen kann, was wirklich schätzenswert an ihnen ist.«
    »Ich glaube, die Amerikaner nehmen ihre Manieren sehr ernst«, sagte der ältere Engländer.
    »Könnte sein«, sagte Dick. »Mein Vater hat seine Manieren in einer Zeit gelernt, als man erst geschossen und sich später entschuldigt hat. Bewaffnete Männer   – also, ihr Europäer habt ja seit dem Beginn des 18.   Jahrhunderts keine Waffen mehr im zivilen Leben getragen   –«
    |274| »Nun ja   –«
    »Nein, überhaupt nicht. Kein bisschen.«
    »Aber Dick, du hast doch immer solche wunderbaren Manieren gehabt«, sagte Baby versöhnlich.
    Die Frauen beobachteten ihn über das Gewirr der Kleider hinweg mit Besorgnis. Der jüngere Engländer hatte nichts davon begriffen   – er gehörte zu der Sorte Männer, die immer an Hausfassaden und Mauerbrüstungen herumturnen müssen, als befänden sie sich in der Takelage eines Großseglers. Er begleitete die Rückfahrt zum Hotel mit einer absurden Geschichte über einen Boxkampf mit seinem besten Freund, mit dem er sich eine Stunde lang voller Liebe geprügelt hatte, natürlich mit größtem Respekt.
    Dick wurde sarkastisch. »Also jedes Mal, wenn er Ihnen eine gelangt hat, haben Sie ihn als noch besseren Freund betrachtet?«
    »Ich habe ihn noch mehr respektiert.«
    »Ich verstehe Ihren Ansatz nicht. Sie und Ihr bester Freund streiten sich über irgendeine Banalität   –«
    »Wenn Sie es nicht verstehen, kann ich’s Ihnen auch nicht erklären«, sagte der junge Engländer kalt.
    Das also ist das Ergebnis, wenn ich mal sage, was ich denke, sagte Dick zu sich selbst. Er schämte sich, dass er den jungen Mann provoziert hatte. Die Absurdität der Geschichte beruhte nun einmal auf dem Gegensatz zwischen der komplizierten Erzählung und der unreifen Haltung, die sich darin offenbarte.
    Die Karnevalsstimmung war so stark, dass sie der Meute auch noch in den Grillroom ihres Hotels

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