Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
wir’s also an.«
[home]
4
M urdoch versuchte, eine bange Ahnung abzuschütteln.
Herauszufinden, warum er im Restaurant die Kontrolle verloren hatte, war von größter Wichtigkeit, aber auch geradezu irrwitzig. Zwischen ihm und dieser Frau existierte eine Art sonderbare, mystische Spannung. Beim letzten Mal hatte ihm Kiyokos Berührung innerhalb eines Sekundenbruchteils wacklige Knie und ein Gefühl der Hilflosigkeit beschert. Und diesmal? Konnte es noch schlimmer kommen?
Er wollte daran glauben, dass er sie nicht verletzen würde.
Aber sein Vertrauen war erschüttert. Sein Berserker legte einen unerhört starken Willen an den Tag, sie zu besitzen. Er tobte jetzt schon in seiner Brust. Alles, was er tun musste, war, ihren blumigen Duft einzuatmen, und der primitive Gedanke, sie sich über die Schulter zu werfen, kehrte mit Macht zurück, um sich ihm mit jedem Herzschlag einzuhämmern. Diese Bestie hatte kein Gewissen. Sie würde keine Träne vergießen, wenn Kiyoko zugrunde ging.
»Wir sollten systematisch vorgehen, Kiyoko«, sagte Sora. »Fang an, indem du einen bekleideten Teil seines Körpers berührst.«
»Ich weiß nicht, ob das klug ist …« Ihre Hand flatterte einen Augenblick an Murdochs Brust, mit festem Druck, der rasch wieder vorüber war. Er hielt den Atem an und wartete auf die Explosion einer Empfindung. Aber sie kam nicht. Er entspannte sich. Es war auch möglich, dass der Zwischenfall im Restaurant Zufall gewesen war.
»Und jetzt versuche es mit Haut auf Haut.«
Murdoch wappnete sich erneut und fühlte wieder nichts. Eine lange Weile verstrich. Er öffnete ein Auge und spähte zu Kiyoko hinüber.
»Haben Sie es sich anders überlegt?«
»Nein.« Sie stand locker da, ohne ein Zeichen der Anspannung. Ihr glänzendes schwarzes Haar war aus dem Gesicht gestrichen und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die praktische Frisur unterstrich ihre Weiblichkeit, indem sie ihre zarten Gesichtszüge besonders gut zur Geltung brachte. In ihrem weiten weißen Gewand sah sie so schmal und klein aus, dass in seiner Brust erneut eine schmerzhafte Nervosität aufstieg.
Er senkte den Arm.
»Aber ich. Das ist eine verflucht idiotische Idee!«
Noch bevor seine Hand unten angekommen war, hatte Kiyoko einen geschmeidigen Schritt nach vorn gemacht, seine Finger berührt und sich sofort wieder weggedreht.
Die Phasen seines blindwütigen Absturzes liefen in genau derselben Reihenfolge ab wie beim ersten Mal: zunächst das brennend heiße Verlangen, dann der unerträgliche Drang, sie zu besitzen, und schließlich das Abgleiten kopfüber in den Berserkermodus. Aber all das geschah schneller und zehnmal heftiger.
Murdoch hörte sich noch das Wort »meins« knurren, bevor ihm jeder vernünftige Gedanke entglitt und er nach Kiyoko griff.
Kiyoko hatte durchaus absichtlich die unvermutete Berührung vom ersten Mal zu wiederholen versucht – einen flüchtigen, zufälligen Zusammenstoß. Aber die dramatische Verwandlung, die mit Murdoch vorging, traf sie völlig unvorbereitet.
Eben noch hatte er wie ein Ehrenmann angeboten, das Experiment abzubrechen, und jetzt knurrte er bereits »meins« und streckte mit unerhörter Geschwindigkeit die Hand nach ihr aus. Hätte sie ihre Reflexe nicht im Kampf mit übernatürlichen Dämonen geübt und perfektioniert, so hätte sie sich vielleicht seinem Griff nicht entziehen können. Als nun seine Hand noch vorn schoss, ließ sie sich zurückfallen, rollte sich nach links ab und sprang auf der anderen Seite der
senshi
-Phalanx wieder auf die Füße. Noch im Rollen murmelte sie die Formel eines Onmyōji-Schildzaubers zweiten Grades.
Das war ihr Glück, denn Schnelligkeit allein hätte sie nicht gerettet.
Murdoch durchbrach die Linie der Krieger, indem er weit ausholte und zwei von ihnen mit seinem langen Arm einfach hinwegfegte. Ihre harmlosen Schildzauber ersten Grades zerstoben unter seinem Ansturm. Er kümmerte sich nicht darum, dass ihre Katanas sein weißes T-Shirt aufschlitzten, sondern blieb auf Kiyoko konzentriert, während seine Füße seinen Augen folgten. Sein Gesicht war rot und sein Blick glasig, doch seine Wachsamkeit ließ nicht nach. Er kam ihr nach wie eine Maschine aus reiner Zweckbestimmung und Entschlossenheit.
Einige hervorragende Kontermöglichkeiten schossen Kiyoto durch den Kopf. Doch sie bezweifelte, dass sie den wild wütenden Seelenwächter aufhalten konnte. Besonders, da sie innerlich noch immer wie Wackelpudding unter den Nachwirkungen der
Weitere Kostenlose Bücher