Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
dem Tisch stand eine Auswahl an Speisen, darunter Reis und gegrillter Lachs, aber Kiyoko nahm nur Tee. Ihr Magen würde Essen jetzt nicht vertragen.
Sora blickte von seiner Misosuppe auf. »Keinen Hunger?«
»Ich kann es kaum erwarten, hinunter in den Dōjō zu gehen.«
»Weil du trainieren oder weil du Mr Murdoch sehen willst?«
»Beides.«
Der Sensei füllte seinen Löffel gewissenhaft mit dem Rest der Suppe. »Du beleidigst Umiko-san, wenn du nichts isst.«
Sie beschloss, darauf nicht zu antworten. An Essen war einfach nicht zu denken, bis sie Murdoch sah und sich den sonderbaren Gefühlen stellte, die einfach nicht weichen wollten. Außerdem wartete der arme Kerl schon seit Stunden auf sie. Sie hatte die Absicht gehabt, ihn zu begrüßen, als er eintraf, aber ihr Energiehaushalt war nicht mehr das, was er einmal gewesen war, und so war sie gegen ein Uhr morgens eingeschlafen.
Ihr Lehrer seufzte. »Dann gehen wir.«
Nachdem sie sich bei Umiko entschuldigt hatte, schlüpften sie im Eingangsbereich in ihre Sandalen und nahmen den kurzen Pfad die Klippen entlang zum hinteren Tor des Trainingsgeländes.
Murdoch stand in der Nähe des Eingangs zur Haupthalle und sah nicht gerade begeistert aus. Den zahlreichen Schnittwunden und blauen Flecken der neun Männer, die ihn umgaben, nach zu urteilen, war ihm das Warten irgendwann zu lang geworden.
»Das wurde aber auch verflucht noch mal Zeit«, knurrte er, als sie und Sora eintraten.
Sora betrachtete die Wächter kritisch. Obwohl sich keiner von ihnen rührte, konnte Kiyoko spüren, dass sie sich schämten. »Haben Sie sich unserer Einladung widersetzt, Mr Murdoch?«
»Nein«, antwortete der große Mann. Seine Stimme war ein trockenes Grollen mit schottischem Akzent. »Es gab nur ein kleines Missverständnis.«
Er sah sie an, während er sprach. Sein Blick wanderte langsam und bedächtig über ihr Gesicht, bevor er nach unten glitt, um sich mit ihrer Kleidung zu befassen. In Anbetracht dessen, dass er etwa eineinhalb Meter entfernt stand, war das eine überraschend intime Erfahrung. Kiyokos Herzschlag beschleunigte sich, und sie bekam Gänsehaut im Nacken. Sie hatte das Gefühl, als würde er Ansprüche auf sie anmelden.
»Worüber?«, fragte sie.
»Meine Stiefel.«
Sie blickte auf seine Füße hinab. Sie waren nackt.
»Aye«, bestätigte Murdoch trocken. »Ich habe sie ausgezogen. Aber es hätte uns allen viel Kummer erspart, wenn sie mich darum gebeten und es nicht befohlen hätten. Ich besitze wenig, aber was mir gehört, will ich auch behalten.«
Sora nickte. »Wir werden uns in Zukunft bemühen, unsere Wünsche in angemessener Weise mitzuteilen. Ahnen Sie bereits, warum wir auf Ihrer Anwesenheit bestehen mussten, Mr Murdoch?«
»Sie wollen über die Ereignisse des gestrigen Tages sprechen.«
»Ja«, bestätigte Sora. »Aber ich möchte auch mehr über Sie erfahren. Sie sind ganz eindeutig kein gewöhnlicher Mann.«
Murdoch zuckte die Achseln. »Ich bin ein großer Kerl mit einem Aggressionsproblem.«
Der Meister drehte sich um und entließ die Krieger mit einem kurzen Befehl.
Kiyoko runzelte die Stirn, als die
senshi
sich als eine Einheit verbeugten und abtraten. Der Respekt vor ihrem Mentor verlangte, dass sie ihre Bedenken für sich behielt, aber ihr lief doch ein alarmierender Schauer den Rücken hinunter. Murdoch hatte bereits bewiesen, dass er ein sehr gefährlicher Mann war.
»Ich wünsche, dass Sie frei sprechen«, sagte Sora ernst. »Kiyoko-san und ich werden alles vertraulich behandeln, Mr Murdoch, das versichere ich Ihnen. Aber Sie müssen offen und ehrlich sein, wenn wir das, was geschehen ist, wirklich verstehen sollen.«
»Was soll ich sagen? Ich bin in einem rauhen Viertel großgeworden.«
Der Anflug von Belustigung in seiner Stimme war kaum wahrzunehmen, aber Kiyoko hörte ihn doch heraus. Er spielte mit ihnen, weil er sie für ungebildet hielt. »Ich weiß, dass Lena Sharpe eine Seelenwächtern ist, Mr Murdoch. Dass sie der Herrin des Todes dient und dass es ihr Auftrag ist, die Seelen der Toten vor den Dämonen zu schützen.«
Der Blick aus braunen Augen fand den ihren. »Lena Sharpe hat ein loses Mundwerk.«
Kiyoko schüttelte den Kopf. »Ich kann ihr viele Dinge vorwerfen, aber nicht, dass sie Geheimnisse ausplaudert. Ich habe einmal nachts einen Dämon bis zu einer Brücke verfolgt und bin fast über sie gestolpert. Sie war schon da und hat gegen ihn gekämpft.«
Seine Stirn furchte sich. »
Sie
haben einen Dämon
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