Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
ohne es überhaupt zu bemerken. Aber, verflucht noch mal, er war aus einem bestimmten Grund hier. Und dieser Grund hatte nichts mit guten Manieren zu tun.
Er kam zügig auf die Füße.
»Dann, schätze ich, sollte ich mit der Lady selbst sprechen.«
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5
K iyoko rückte gerade ihren BH zurecht, als Umiko plötzlich auf Japanisch Gift und Galle spuckte. In die Worte der alten Frau mischten sich Zorn und Panik, und ein Schuss Märtyrertum war auch mit dabei.
»Bleiben Sie sofort stehen, Mr Murdoch«, rief Kiyoko. Sie warf einen Blick über die nackte Schulter auf die papierdünne Tür und betete, dass sie sich nicht öffnen möge. »Sie sagt, dass sie eher bereit ist zu sterben, als Sie hereinzulassen. Ich ziehe mich gerade um.«
»Oh!«
»Warten Sie im Garten auf mich«, fügte sie hinzu. »Ich bin sofort da.«
»In Ordnung.« Das tiefe, rauchige Poltern seiner Stimme kroch über ihre Haut, so dass sie im Nacken Gänsehaut bekam. Schon seltsam, dass man an einem Mann die Stimme bewundern konnte. »Wo ist der Garten?«
»Umiko-san wird Sie hinbringen.«
Kiyoko richtete eine Bitte an ihre Haushälterin und schmunzelte über deren Murmeln. »Begriffsstutziger Bär!« Murdoch hatte wirklich Ähnlichkeit mit einem großen Braunbären.
Ein paar Augenblicke später trat Kiyoko in schwarzem Rock, blütenweißem T-Shirt und einem Mantel aus Sweatshirtstoff auf den Pfad, der den sorgfältig geharkten Kies durchzog. Sie folgte Murdochs frischen Fußspuren zu dem Brückenbogen, der über den künstlichen Teich führte. Alle Blätter waren abgefallen und gaben den Blick frei auf schwarze Äste und kaltes, klares Wasser, das einen kunstvoll arrangierten Felsen hinunterrann.
Murdoch lehnte am Holzgeländer und starrte ins Wasser, doch er richtete sich auf, als sie näher kam.
»Schön«, sagte er.
Sie nickte. »Mein Vater war ein passionierter Gärtner. Es machte ihm Freude, selbst im Winter hier umherzugehen und den Standort jeder Pflanze peinlich genau zu überprüfen. Wenn strenger Frost kommt, sieht es wie eine Miniaturwelt für Feen aus.«
Er hob einen Mundwinkel. »Aye, der Garten ist auch sehr schön.«
Wärme brandete durch sie hindurch.
Ihr Blick fiel auf das Wasser, das still unter der Brücke dahinfloss. Blauer Himmel und eine federleichte Wolke spiegelten sich in der glatten Oberfläche. Es war sicherer, diesen Anblick zu betrachten als die Ecken und Kanten seines Gesichts oder den angedeuteten Schalk in seinen Augen. Die greifbare Spannung zwischen ihnen machte ihr schon genug Kummer. Wenn er es wagte, die Erregung zu erwähnen, die sie bei seiner Berührung gespürt hatte, wäre ihre Scham grenzenlos.
»Ich fahre nachher in die Stadt, Mr Murdoch«, sagte sie. »Der Wagen wird in einer halben Stunde hier sein. Worüber wollten Sie mit mir sprechen?«
»Über den Schleier.«
Ihr drehte sich der Magen um. Von der bösen Seite der Reliquie zu erfahren, verursachte ihr Übelkeit. Und dennoch war sie nicht bereit, sich davon zu trennen, trotz ihres neu erworbenen Wissens.
»Er steht nicht zum Verkauf.«
Er stützte sich wieder auf das Geländer. Der Ärmel seiner Jacke und seine breite, quadratische Hand waren nur noch Zentimeter entfernt. »Jede Minute, die Sie daran festhalten, bringen Sie die Welt mehr in Gefahr. Wenn Satan entdecken sollte, dass Sie den Schleier haben …«
»Niemand außer Yamashita-sensei weiß davon – und jetzt Sie. Wenn bekannt würde, dass er sich hier bei uns befindet, dann wäre das wahrscheinlich einzig und allein auf Ihr Interesse daran zurückzuführen. Das Sicherste wäre, Sie würden dieses Gespräch vergessen und in die Vereinigten Staaten zurückkehren.«
»Das kann ich nicht. Ich bleibe so lange hier, bis ich das habe, was ich will.«
Das Leder seiner Jacke war dick und stark, verschrammt vom regelmäßigen Gebrauch und an den Aufschlägen abgetragen. Kein empfindliches, butterweiches Kalbsleder für Murdoch.
»Weil Sie Ihren Vorgesetzten ein Versprechen gegeben haben?«
»Weil wir sonst den Kampf gegen Satan verlieren, und ich hasse es wirklich zu verlieren.«
Die Stimme der Erfahrung. Ein rascher Blick in sein Gesicht gab ihrem Eindruck Recht: Feine Fältchen zogen sich um Augen und Mund. Und er trug die Zeichen seiner Reife mit Stolz.
»Der Schleier ist also eine Waffe«, sagte sie leise. »Was genau kann sie?«
»Dämonen schlagen.«
»Und wie?«
Er stieß den Atem aus, der als Nebelhauch in der Morgenluft sichtbar wurde. Kiyoko riskierte einen
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