Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
angebunden auf Japanisch, was er natürlich nicht verstand. Nicht, dass er einen Dolmetscher gebraucht hätte – was sie meinte, war ziemlich klar.
Nur über meine Leiche.
Murdoch überlegte noch, wie weit er gehen sollte, da hörte er eine männliche Stimme aus dem Inneren des Hauses. Wieder Japanisch. Wieder Worte, die er nicht verstand. Aber der Groll wich aus Umikos Augen, und sie nickte. Dann schlurfte sie ein paar Schritte zurück und verbeugte sich, um Murdoch einzulassen.
Er öffnete eilig die Schnallen seiner Stiefel, schüttelte diese ab und trat ein.
Sora stand mitten im Hauptraum. Man konnte ihm nun ganz entschieden sein Alter ansehen. Er hatte Tropfen getrockneten Bluts an seinem bleichen Kinn, und ein weißer Mullverband lugte unter dem Kragen seiner schwarzen Robe hervor.
Als er Murdochs Blick auf dem Verband ruhen sah, bekannte er reumütig: »Sie sind außergewöhnlich schnell. Ich bin zur Seite gesprungen, aber die Spitze Ihres Schwertes hat mich trotzdem erwischt.«
Murdoch strich sich mit der Hand das Haar aus dem Gesicht. »Verzeihen Sie mir, Sora-san. Dämonen öffnen ein Portal, wenn sie denken, dass sie verlieren, und versuchen oft zu entwischen. Mein Berserker ist mittlerweile ziemlich geschickt darin, noch in letzter Sekunde den tödlichen Streich zu führen.«
Soras Augenbrauen hoben sich. »Dann bin ich dankbar, dass Sie diesmal Ihr Ziel verfehlt haben.«
»Ich auch. Ich hoffe doch, dass alle es überlebt haben?«
»Nur Kiyoko und ich wurden verwundet.«
Murdochs Blick wanderte über die Schulter des Sensei zu dem abgetrennten Raum, in dem sich Kiyoko damals angezogen hatte. Die Schiebetür war geschlossen, aber er konnte den Schatten einer Person sehen, die sich dahinter bewegte. »Wie geht es ihr?«
»Nicht gut.«
»Habe ich sie …« Murdochs Kehle war so zugeschnürt, dass er kein weiteres Wort herausbekam. Nicht beim ersten Anlauf. »Habe ich sie mit dem Schwert getroffen?«
»Nein.« Der Alte schüttelte den Kopf. »Die Schuld an ihrer Verwundung liegt bei mir, nicht bei Ihnen. Ich habe nicht präzise genug vorausgesehen, was passieren könnte, nachdem ich Sie angeschossen hatte.«
»Der Pfeil in meiner Schulter … das waren Sie?«
Er nickte. »Ich habe den Pfeil so sorgfältig vorbereitet. Nicht nur, dass ich ihn mit einem sehr mächtigen Schildbann belegt hatte – ich hatte auch einen Schlafzauber hinzugefügt.«
Murdoch schnaubte. »Sie haben mich kaltgestellt!«
»Ziemlich wirkungsvoll.«
»Aber …?«
Sora lächelte flüchtig. »Sie vermuten richtig. Es gibt ein Aber. Sie sind zu Boden gegangen, wie ich es vorausgesehen hatte, aber Sie sind auf Kiyoko gefallen und haben Sie fast zerquetscht. Zwei Rippen sind gebrochen, sagt die Ärztin. Yoshio hat versucht, Sie von ihr herunterzuziehen, aber in den letzten Sekunden, ehe Sie bewusstlos wurden, haben Sie einen Abwehrschild aufgerufen, der ihn daran hinderte. Mit Ihrem Gewicht haben Sie sie fast umgebracht.«
Das Wissen um die knapp abgewendete Katastrophe griff mit frostigen Fingern nach ihm.
»In der Tat«, fuhr Sora fort, »hätten Sie sich nicht plötzlich zur Seite gewälzt, dann, glaube ich, wäre es alles in allem viel schlimmer ausgegangen.«
»Darf ich sie sehen? Ich muss sie um Verzeihung bitten.«
»Jetzt noch nicht«, erwiderte der alte Mann. »Sie braucht noch sehr viel Ruhe.«
Murdoch legte die Stirn in Falten. »Bei ein paar gebrochenen Rippen?«
»Es ist viel komplizierter als nur ein paar gebrochene Rippen. Während sie unter Ihnen eingeklemmt war, hat sie sich überanstrengt. Eine alte Verletzung hat sich dabei sozusagen zurückgemeldet.«
Umiko erschien mit einem Teeservice, das sie auf dem Tisch neben dem eingelassenen Herd abstellte. Kein Bier heute. Nur grüner Tee und gewürzte Reisbällchen.
Murdoch wartete, bis sie wieder gegangen war, dann fragte er: »Welche alte Verletzung?«
»Vor drei Monaten störte Kiyoko den tödlichen Dämonenangriff auf ihren Vater und wurde selbst in die Brust getroffen.«
»Beim Training hat sie keinerlei Schwäche gezeigt.«
Sora ließ sich steif auf eines der Kissen um den Tisch nieder. »Die körperliche Heilung ging rasch vonstatten. Wie viele junge Leute war sie nach ein paar Tagen wieder auf den Beinen. Aber ihr Ki hat ernsthaften Schaden genommen.« Er streckte die Hand nach der Teekanne aus und zuckte zusammen.
Murdoch ging zum Tisch, hob die Kanne hoch und schenkte dem alten Mann Tee ein. Nachdem er die Kanne abgestellt hatte, schob
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