Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
auf.
Murdoch verharrte. Er kämpfte verzweifelt darum, den Kopf über Wasser zu halten, über die steigende Flut animalischen Verlangens.
Öffne die Arme und lass sie gehen. Du kannst es, Murdoch. Du musst einfach …
Der Berserker erstarrte in angespannter Achtsamkeit, Gefahr witternd. Ein Wurfgeschoss pfiff durch die Luft, durchbrach seinen Schild und bohrte sich tief in seine rechte Schulter. Dumpfer Schmerz begleitete den Treffer – kaum genug, um ihn zusammenzucken zu lassen, aber mehr als genug, um die Bestie zu zügelloser Raserei zu reizen.
Die Instinkte übernahmen das Regiment.
Innerhalb eines Wimpernschlags war jeder Vorwand, die Gewalt in ihm in Ketten zu legen, beiseitegefegt. Und Murdoch wurde in einem heftigen Ruck von einer mächtigen dunklen Faust unter die Oberfläche gezerrt.
Kiyoko spürte, dass Murdoch zusammenfuhr und dann erschauerte.
Seine Hüften entfernten sich von ihren, und ein Fauchen unverhohlenen Zorns versengte ihr Gesicht, bevor er sie losließ und herumwirbelte. Atemlos und mit weichen Knien von ihrem Kuss – und ihren nicht weniger wilden Wünschen – prallte sie gegen die Holzwand zurück. Murdoch verdeckte ihr die Sicht, doch sie wusste nur zu gut, wem er Auge in Auge gegenüberstand. Einer kleinen Armee von Onmyōji-Kriegern.
Der Dōjō schwieg.
Tatsächlich lag über dem gesamten Gelände so etwas wie eine ruhige Zielstrebigkeit in der Luft.
Und aus Murdochs rechter Schulter ragte ein Pfeil. Ein Pfeil, befiedert mit den schwarzen Schwungfedern eines Königsadlers – Federn, die Sora gewissenhaft aus einem Horst auf einem Berggipfel geholt hatte.
Murdoch zog sein Schwert mit einem sanft kratzenden Geräusch aus dem Gehänge. Ganz und gar verloren in seinem alten, primitiven Berserker, wandte er ihr den Rücken zu, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass auch sie ihm Schaden zuzufügen imstande war. Stattdessen nahm er eher eine Beschützerhaltung ein, den eigenen Körper als Hindernis präsentierend, bereit, jeden aufzuhalten, der ihm zu nahe kam.
Kiyoko war nicht gekränkt.
Es war etwas seltsam Liebenswertes an seiner Entschlossenheit, sie vor jedem Kummer zu bewahren. Aber sie konnte sich nicht damit befassen. Seine undurchdringliche Mauer der Selbstkontrolle war fort, und das wilde Pulsieren des Berserkers lag offen zutage, zügellos. Sie würde viel Energie brauchen, aber dies war eine Gelegenheit, die so schnell nicht wiederkommen würde. Es gab keinen besseren Zeitpunkt, sich in seine Aura zu schleichen.
Sie legte die Hände in Meditationshaltung zusammen, starrte auf die doppelte Reihe von Silbernieten an Murdochs schwarzem Ledergürtel und zwang ihren keuchenden Atem unbarmherzig in einen gleichmäßigen Fluss. Angetrieben vom Versuchscharakter dieser einmaligen Gelegenheit, glitt sie rasch in die tiefe Meditation hinüber – ohne jedoch das Bewusstsein für den sich im Hof zusammenbrauenden Kampf zu verlieren und ohne Angst noch Wut zu fühlen.
Murdochs Aura war ein unvergesslicher Anblick.
Ein geradezu irres Rot, das so tief war, dass es fast schwarz wirkte, umgeben von einer dünnen Hülle schimmernden Goldes.
Obwohl sie von Geburt an mit der Gabe, Auren zu sehen, gesegnet war, hatte Kiyoko noch nie etwas Vergleichbares zu Gesicht bekommen. Die Aura der meisten Menschen setzte sich aus verschiedenen Farben zusammen, wobei die dominanteste Schattierung auch auf den prominentesten Charakterzug hinwies. Murdochs Aura war ungewöhnlich konzentriert. Sie erinnerte an einen rotschwarzen Drachen, der goldenes Feuer spuckte. Ein vielleicht etwas abstruser Gedanke, aber auch eine überraschend treffende Beschreibung.
Und das Bild veranlasste sie zu zögern.
Aber nur einen Augenblick lang.
Sie erweiterte ihre Aura langsam in Murdochs Richtung. Sie empfand das Pulsieren der Kraft, das von seinem Körper ausging, als so intensiv, dass sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten. Es fühlte sich vertraut an. Ganz anders als das stechende Brennen, das sie spürte, während sie näher kam. Entfesselt strahlte Energie von ihm ab, die die Stärke von tausend Feuern besaß und den äußeren Rand von Kiyokos Aura versengte. Während der Berserker mehr und mehr die Oberhand gewann, bröckelte die Mauer um Murdochs geheimste Gedanken und stürzte endlich zusammen. Sie schnappte Erinnerungsfetzen auf – an Kämpfe, die er ausgefochten hatte, Leben, die er gerettet hatte, und Versprechen, die er gehalten hatte. Noch als er sie mit seiner Hitze
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