Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
bewussten Gedanken sandte sie ihm ein stummes Flüstern.
Dreh dich zur Seite. Bitte.
Dann erfasste sie das Meer und spülte sie in die Dunkelheit fort.
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10
M urdoch erwachte, das Gesicht ins Gras gedrückt und einen Mundvoll Erde auf der Zunge. Die scheußlichsten Kopfschmerzen, die er je zu erdulden das Pech gehabt hatte, hämmerten gegen seinen Schädel, und als er die Erde ausspuckte, wurden sie nur noch schlimmer.
Ihm war übel.
Er kam hoch und rieb sich die Schulter, die ebenfalls pochte.
Sein T-Shirt war hart und verkrustet unter seinen Fingern, und dicker Schorf hatte sich auf der Haut darunter gebildet. Als er die Augen zusammenkniff, um das lästig helle Sonnenlicht zu filtern, entdeckte er einen Pfeil auf dem Boden.
Jemand hatte auf ihn geschossen.
Er erinnerte sich nicht mehr daran, wer das gewesen war.
Er hob den Pfeil auf und begutachtete ihn. Er musste mit einem Zauber belegt sein – sonst hätte er seine Haut nicht durchbohren können, nicht, wenn er im Berserkermodus war. Und das war er gewesen, daran erinnerte er sich sehr wohl. Denn er entsann sich jedes einzelnen der letzten Augenblicke, ehe die Bestie ihn verschlungen hatte – des unglaublichen Gefühls, Kiyoko in den Armen zu halten, und des süßen Drucks ihrer Lippen auf seinen.
Er blickte zur Wand der Zeremonialhalle hinüber.
Sie war fort. Tatsächlich war der Hof vollkommen leer … einmal abgesehen von dem verlassenen Katana, das ein paar Meter entfernt auf dem Kies lag.
Er runzelte die Stirn.
Kiyoko achtete normalerweise sehr gut auf ihre Waffen – wie jeder, dessen Leben davon abhing. Dass sie ihr geschätztes Schwert sich selbst überlassen haben sollte, war ganz und gar ungewöhnlich. Eine derartige Achtlosigkeit legte nahe, dass sie abgelenkt gewesen war. Aber wovon? Wenn sie die Waffe gezogen hatte, um ihn abzuwehren, was ihm logisch erschien, was hatte sie nur dazu veranlasst, sie aufzugeben? Die Menge der Kampfspuren im Kies deutete darauf hin, dass in den Zusammenstoß mindestens ein Dutzend ihrer jungen Onmyōji-Krieger verwickelt gewesen waren. Hatte er …?
Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Magen, als Murdoch auf seine Hände blickte. Ja, auf beiden Handrücken und an den Fingern seiner rechten Hand fanden sich dunkelrote Spritzer. Getrocknetes Blut. Er hatte jemanden verletzt. Vielleicht jemanden erschlagen.
Erinnerungen regten sich, und die Härchen in seinem Nacken stellten sich auf.
Gütiger Gott, hatte er etwa
Kiyoko
weh getan?
Nein! Er schoss in die Höhe. Der Schmerz in seinem Kopf war mittlerweile nur mehr lästig. Er würde sie niemals verletzen.Jedenfalls nicht absichtlich. Aber versehentlich? So etwas war schon vorgekommen. Und es konnte natürlich wieder geschehen sein.
Er drehte sich um die eigene Achse. Wenn jemand verletzt worden war, hatte man ihn zu dieser Ärztin geschafft. Aber wo, zum Henker, befand sich die verdammte Krankenstation? Die meisten Gebäude auf dem Gelände waren ihm vertraut, aber es gab einige, die er noch nicht betreten hatte. Das in der nordöstlichen Ecke war die Schmiede, und die vier kleineren Hütten nahe dem Haupttor dienten den ranghöchsten Kriegern wie Yoshio als Unterkunft.
Aber in der Nähe des Eingangs lag auch eine etwas größere Pagode. Und die Ärztin hatte den verwundeten Krieger in diese Richtung abtransportieren lassen.
Murdoch lief den Kiesweg entlang.
Seine Vermutung bezüglich der Krankenstation erwies sich als richtig. In dem Gebäude fand er einen kleinen Behandlungsraum vor, ein Zwei-Bett-Zimmer, ein Labor und einen großen Schrank voll medizinischer Materialien. Aber keine Ärztin und keine Kiyoko.
Was seine schreckliche Angst nur wachsen ließ.
Wenn sie im Haupthaus waren, bedeutete das fast sicher, dass Kiyoko die Verwundete war. Und wenn sie ins Krankenhaus gefahren waren, mussten ihre Verletzungen gravierend sein. Murdoch machte sich auf das Schlimmste gefasst. Er verließ das Trainingsgelände zwischen den beiden grimmigen
niou
hindurch und ging geradewegs zu Kiyokos Haustür, an die er höflich klopfte.
Umiko schob die Papiertür auf.
Der vernichtende Blick auf dem Gesicht der alten Frau, als sie ihn erkannte, stieß ihm sauer auf. Es stimmte also. Er war nun offiziell der größte Dreckskerl auf Gottes weiter Erde. Er hatte Kiyoko weh getan.
»Darf ich hereinkommen?«
Umiko funkelte ihn wütend an und machte keinerlei Anstalten beiseitezutreten.
»Ich muss sie sehen«, sagte er ruhig.
Sie antwortete kurz
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