Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
darauf, an allem schuld zu sein? Du weißt, dass ich dich gereizt habe, du weißt, dass ich dich geküsst habe, und du weißt auch, dass ich tausend Gelegenheiten gehabt hätte, auf dir herumzuhacken, wenn ich es gewollt hätte.«
»Und warum hast du es dann nicht getan?«
Sie funkelte ihn an. »Weil ich nicht wollte. Im Ernst – warum sollte ich so hart mit dir ins Gericht gehen? Ich mag dich.«
»Aus demselben Grund, warum du mit Takeo hart ins Gericht gegangen bist. Weil du keine Wahl hattest. Weil es manchmal richtig ist, jemandem weh zu tun, den man mag.«
Kiyoko glättete die Falten in ihrem Laken. »Wenn ich mich daran gehalten hätte, wärest du nicht in optimaler Verfassung gewesen, als die Dämonen angriffen. Wir könnten jetzt alle tot sein.«
»Oder du und Sora hättet die Sache allein erledigt, weil mein Berserker euch vorher nicht verletzt hätte«, hielt er dagegen.
Sie seufzte. »Warum reden wir überhaupt darüber? Wir können die Zeit nicht zurückdrehen und an dem, was geschehen ist, etwas ändern. Wir haben einen sehr schwierigen Tag mit minimalen Verlusten überstanden. Ich für meinen Teil bin eher dankbar als wütend.«
»Du hast recht. Wir können die Vergangenheit nicht mehr beeinflussen.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Die verwuschelten Strähnen legten sich in ordentliche Bahnen. »Aber wir können todsicher die Zukunft beeinflussen.«
Kiyoko drängte es, erneut sein Haar zu berühren. Der kurze Augenblick während des Kusses, in dem sie ihre Finger in diesen Wellen vergraben hatte, genügte ihr nicht. »Was willst du damit sagen?«
Murdoch sandte ihr einen reumütigen Blick. »Bis gestern hatte ich vor, mir den Schleier zu schnappen und zu verschwinden.«
Sie runzelte die Stirn. »Du weißt doch gar nicht, wo er ist.«
»Das stimmt nicht ganz. Ich weiß, dass du ihn am Körper trägst. Und ich weiß, dass er sich weder in deinem Medaillon noch in deinem Armband befindet.«
Sie blickte auf ihr bloßes Handgelenk. »Du hast mir den Schmuck weggenommen?«
»Als du geschlafen hast«, gab er zu.
Ihr blieb beinahe das Herz stehen. »Was hast du sonst noch getan, als ich geschlafen habe?«
»Nichts. Der Plan hat sich sowieso geändert. Du brauchst den Schleier, um zu überleben.«
Ihr fiel die Kinnlade herunter. »Woher weißt du das?«
»Sora-san hat es mir gesagt.«
»Er hatte kein Recht …«
»Blödsinn!«, unterbrach Murdoch. »Er hatte jedes Recht dazu. Als ich hier ankam, wusste er, dass es mein Ziel war, den Schleier an mich zu nehmen, und deshalb hatte er gute Gründe, es mir zunächst zu verschweigen. Aber jetzt? Was ich dir gestern auf dem Hof angetan habe, hat dir jede Hoffnung genommen, die du noch hattest. Warum, zum Henker, sollte er es mir immer noch nicht sagen?«
»Weil du keine Schuld trägst«, erwiderte sie ruhig. »Nicht an dem entstandenen Schaden, nicht an der Notwendigkeit, den Schleier zu beschaffen, nicht einmal daran, was auf dem Hof mit mir geschah. Jeder Fehler, der gemacht wurde, war meiner. Nicht deiner.«
»Mädchen, hast du dich etwa selbst beinahe zerquetscht?«
»Nein, aber …«
Er hielt eine Hand in die Höhe, um ihr Einhalt zu gebieten. »Dann einigen wir uns darauf, dass wir uns die Verantwortung teilen, okay? Du hast den Bären gehetzt, und ich habe dich fast zu Tode gedrückt. Sagen wir: Wir sind quitt.«
»So einfach ist das nicht.«
»Das ist es nie«, erwiderte er seufzend.
Murdoch legte ein Knie aufs Bett, um Kiyoko direkt in die Augen sehen zu können. Er hatte etwas zu sagen, aber sie hörte ihm nicht zu. Die Wärme seines Schenkels kroch durch die Laken an ihrem Bein hinauf und erinnerte sie an die zahlreichen sinnlichen Träume, die sie von diesem Mann geträumt hatte. Doch keiner hatte es mit dem süßen Schauer des Kusses im Hof aufnehmen können.
Kiyoko setzte sich auf. Sie wandte keinen Blick von Murdochs Gesicht.
Eine sonderbare Ungeduld raste durch ihre Adern. Sinnlich, nervös und vielversprechend. Ein zweiter Kuss wäre wunderbar. Riskant, ja, aber das Gefühl seiner Lippen auf den ihren hatte kleine elektrische Impulse bis in ihre Zehen geschickt und jeden Nerv in ihrem Körper zum Singen gebracht – in einer Melodie, die nur er hören konnte. Das wollte sie noch einmal schmecken.
Jetzt.
Seine Augen verdunkelten sich, während sie einander anstarrten. Er dachte dasselbe, darauf hätte sie das Katana ihres Vaters verwettet.
Er beugte sich zu ihr. »Kiyoko …«
»… braucht jetzt Ruhe,
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