Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
Mr Murdoch«, sagte Sora mit fester Stimme von der Tür her.
Murdoch fuhr abrupt zurück. »Aye, das ist wahr.«
Enttäuschung machte sich in Kiyokos Brust breit, doch sie erkannte zugleich, dass die Anziehungskraft zwischen ihr und Murdoch nichts war, wozu sie sich freiwillig entscheiden konnte. Etwas Tiefes und Unleugbares zog sie beide magisch zueinander hin, und es schien den gesunden Menschenverstand außer Kraft zu setzen.
»Wie fühlen Sie sich, Sensei?«, fragte sie ihren Mentor.
»Vollkommen genesen, dank der Ärztin. Du dagegen bist noch nicht so weit«, antwortete er. Er hielt den Blick weiter auf Murdoch gerichtet. Sein Gesichtsausdruck wirkte missbilligend.
Murdoch verstand die Botschaft. Er erhob sich trotz seiner Größe geschmeidig vom Bett und lehnte sich, die Arme über der Brust verschränkt, an die Kommode mit dem medizinischen Material. »Deshalb bin ich hier«, sagte er. »Ich nehme Kiyoko mit in die Staaten.«
»Auf keinen Fall«, entgegnete Sora scharf.
»Sie ist hier nicht sicher.«
»Sie übertreiben.«
Kiyokos Blick wanderte zwischen dem sorgenvollen Gesicht des alten Mannes und Murdochs entschlossener Miene hin und her. Die Höflichkeit, die ihre vergangenen Begegnungen ausgezeichnet hatte, war verschwunden. Aber warum?
»Was ist passiert?«, wollte sie wissen.
Beide Männer ignorierten sie.
»Sie stellen sich ihrer Genesung in den Weg. Stefan Wahlberg ist einer der mächtigsten Magier der Welt«, sagte Murdoch. »Die Chancen stehen sehr gut, dass er Kiyoko heilen kann. Er kennt eine Behandlungsmethode gegen energetische Auszehrung.«
»Wir haben schon viele begabte Magier konsultiert. Keiner wusste einen Ausweg. Kiyoko-san zu veranlassen, aus einer Laune heraus um die halbe Welt zu reisen, ist nicht akzeptabel.«
»Hierzubleiben ist ebenso wenig akzeptabel«, widersprach Murdoch.
»Was ist passiert?«, wiederholte Kiyoko, lauter diesmal.
Murdoch sah zu ihr. »Während das Haus angegriffen wurde, ist jemand in den Dōjō eingebrochen und hat alle Weissagungsschriften gestohlen. Welchen Grenzzauber auch immer dein Freund hier über das Lager gelegt hat – er war offenbar lausig.«
Ihr Blick haftete auf Sora. »Ist das wahr?«
Er nickte.
Kiyoko schlug die Decke zurück und schwang die Beine von der Pritsche. »Ich habe bei diesem Zauber geholfen«, sagte sie. »Er gestattet nur namentlich benannten Personen den Zutritt. Einer der Onmyōji ist nicht der, der er zu sein scheint.«
»Oder der Übeltäter ist einer unserer Gäste«, warf Sora ein und sah Murdoch an.
Doch Murdoch entging die Beleidigung. Er funkelte Kiyoko an. »Die Ärztin hat dir nicht erlaubt aufzustehen.«
Sie lächelte und drückte sich vom Bett ab. »Dann verpetz mich ruhig.«
Ihre Rippen schmerzten, aber nicht so sehr wie gestern noch. Ihr Energiehaushalt stabilisierte sich offenbar wieder. Die Perle der Kraft in ihrem Inneren wurde mit jedem Atemzug kräftiger. Der Schleier mochte nicht mehr so wirkungsvoll wie früher sein, aber er hatte noch immer Macht.
»Kiyoko …«, begann Murdoch mit finsterem Blick.
»Hör auf, mich zu bemuttern! Wenn ich ein Mann wäre, würdest du meine Ungeduld, wieder auf die Füße zu kommen, loben.« Sie griff sich ihre Kleidung von einem nahen Stuhl und steuerte das Badezimmer an. Dabei hielt sie den Krankenhauskittel hinten zusammen. »Ich kann besser denken, wenn ich auf den Beinen bin.«
Sie schlüpfte in ein Paar Pantoffeln, dann schob sie die Tür zu. Was ihr Privatsphäre, aber keinen Frieden verschaffte. Sie verzog das Gesicht, während sie beim Ankleiden dem Gespräch der Männer lauschte.
»Warum haben Sie ihr nicht gesagt, dass sie im Bett bleiben soll?«, wollte Murdoch wissen.
»Ihre spirituelle Energie erneuert sich viel schneller, wenn sie bei Bewusstsein ist. Ich vertraue darauf, dass sie ihre Grenzen kennt.«
»Sie war doch schon wach, als Sie hereinkamen«, hielt Murdoch dagegen. »Sagten Sie nicht, dass sie noch Ruhe braucht?«
»Vielleicht habe ich ihre Blässe zu ernst genommen.«
»Vielleicht sind aber auch Ihre Fähigkeiten, ihren Gesundheitszustand einzuschätzen, genauso erbärmlich wie Ihre Qualitäten als Magier.«
Kiyoko verknotete den schwarzen Gürtel um ihren
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mit einem heftigen Ruck und schob die Tür wieder auf. »Genug jetzt! Das gilt für euch beide. Ich lege mich nicht wieder ins Bett, also hört auf, euch darüber zu streiten.« Sie blickte zu Sora, während sie die Pantoffeln wieder abstreifte. »Haben wir das
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