Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
besser gewesen, wenn der Drache wie wild um sich geschlagen und auch die übrigen Dämonen von der Klippe gestoßen hätte. Ihnen blieben fünf Minuten – zehn, wenn sie viel Glück hatten –, bis das Gift sich seinen Weg durch den Drachenleib bis zum Herzen gebahnt haben würde. Angesichts der Verzweiflung, mit der sich Yoshio und Sora verteidigten, blieb nur wenig Hoffnung auf Erfolg.
Kiyoko belegte den Drachen mit einem Schmerzlinderungszauber.
Ihre Rippen begannen wieder zu pochen, doch der Zauber war anderweitig angebrachter. Nur Augenblicke später erwies sich ihre Entscheidung als richtig, als nämlich der Drache mit einem mächtigen Flügelschlag einen weiteren
oni
von der Klippe segeln ließ. Sie und Ryuji, der bleich an der Tunnelwand klebte, lächelten einander triumphierend zu.
Der Triumph währte indes nicht lange.
Der dritte Dämon heulte wutentbrannt auf und warf seine mächtige Keule auf die Schnauze des geflügelten Untiers. Treffsicher fand sie den Kopf des Drachen und betäubte ihn kurzzeitig. Er spuckte nur noch einmal Feuer, ehe das Gift sein Herz erreichte und er zusammensackte, außer Sichtweite geriet und von der Klippe auf die Geröllhalde darunter stürzte. Der nun seiner Keule entledigte
oni
hatte schwere Verbrennungen davongetragen, aber er war am Leben.
Noch immer standen die Chancen drei zu zwei für die Dämonen.
Schlimmer noch, sowohl bei Sora als auch bei Yoshio waren Anzeichen von Ermüdung zu erkennen – die Sprünge, mit denen sie den Keulen auswichen, fielen kürzer aus, sie entgingen nur noch knapp den Feuerbällen, hatten bleiche Lippen und keuchten. Wenn Kiyoko nicht etwas unternahm, und zwar rasch, würden sie alle sterben, und der Schleier wäre verloren.
Doch was konnte sie tun?
Frische Luft! Wohltuende, süße Luft aus der Welt da draußen.
Murdoch schloss die Augen, als er den kühlen, herbstlichen Lufthauch schmeckte. Dann runzelte er die Stirn. Er schmeckte nicht so süß, wie er sollte. Dieser Luft war der bittere Geruch von Schwefel beigemischt.
Der Berserker regte sich unter seiner Haut.
Schwefel konnte nur eines bedeuten. Er nahm die letzte Biegung des Tunnels und trat dem hellen Tageslicht und einem kleinen, aber erbittert geführten Gefecht entgegen. Seine Finger schlossen sich fester um den lederumwickelten Schwertknauf. Schon wieder Dämonen!
Rasch fand sein Blick Kiyoko und Ryuji, ein paar Meter von dem Scharmützel entfernt. In dem Versuch, sich so klein wie möglich zu machen, drückte sich Watanabe an die Felswand, doch Kiyoko stand blass und stolz da, mit ausgebreiteten Armen, während sie mit aller ihr noch verbliebenen Kraft Zauber um Zauber aufrief. Sora und Yoshio hielten beherzt die Dämonen in Schach – drei große Ungeheuer, von denen zwei mit mächtigen Keulen bewaffnet waren.
Murdochs Blut summte, und seine Muskeln spannten sich an.
Lass mich von der Kette!,
heulte der Berserker.
Murdoch hielt seine innere Bestie mit zusammengebissenen Zähnen in Schach. Er durfte sie nicht von der Kette lassen. Nicht hier. Obwohl die Dämonen die Tunnelöffnung erweitert hatten, war der Platz zum Kämpfen noch immer sehr begrenzt. Wenn er den Berserker losließ, konnte er nicht für Soras oder Yoshios Überleben garantieren.
Plötzlich rauschte die Luft um ihn herum, und er spürte, wie zahlreiche Flügel in federleichter Berührung seine Wange streiften. Fledermäuse? Wenn dem so war, konnten selbst seine scharfen Wächteraugen sie nicht sehen. Vielleicht waren es Geisterfledermäuse.
Unter dem nicht nachlassenden Ansturm einer Dämonenkeule fiel schließlich Yoshios Schild in sich zusammen. Als die Keule erneut gegen ihn geschwungen wurde, wollte er nach links wegtauchen. Aber der unebene Boden vereitelte sein Ausweichmanöver – bevor er durch die Luft hechten konnte, verlor er den Halt und stolperte. Murdochs bizarre Grübeleien über Geisterfledermäuse wurden abrupt von der kruden Wirklichkeit unterbrochen, und der Wächter rannte los, um den jungen Krieger zu verteidigen.
»Sie schwitzen Gift aus«, keuchte Kiyoko, als er an ihr vorbeihastete.
Murdoch versuchte zu übersehen, wie erschöpft sie wirkte, und verstärkte die Vorderseite seines Schildes mit einer Roma-Abwehr. Kombiniert mit dem natürlichen Abschreckzauber des Berserkers sollte das genügen, um ihn abzusichern. Er lockerte die Fesseln der uralten Bestie in ihm gerade so weit, um ihre Kraft nutzen zu können, dann stürzte er sich, Blutsucher schwingend, ins
Weitere Kostenlose Bücher