Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
schneller schlagen und ihre Hände feucht werden ließen. Murdoch war genauso, wie ein Mann nach ihrem Geschmack sein sollte – selbstbewusst, tüchtig und ehrenhaft. Aber er war einfach nicht zu fassen. In mehr als einer Hinsicht.
Sie nahmen nicht den Weg zurück zum Haupthaus, wie Kiyoko erwartet hatte. Stattdessen führte er sie durch das kleine Gehölz hinter den Unterkünften.
»Wohnt der Magier nicht bei euch?«
»Nein, Stefan und seine Frau leben am Fischteich. Sie sind ein nettes Paar, bleiben aber lieber für sich.«
»Seine Frau ist also keine Wächterin?«
Murdoch schob einen Ast beiseite, damit Kiyoko passieren konnte. »Nein, Dika ist eine sterbliche Frau wie jede andere. Ich glaube, sie kommen beide aus Rumänien.«
Sie umrundeten ein Nebengebäude mit einem großen, scheunenähnlichen Tor und folgten einem blumengesäumten Pfad bis vor die Metalltür des Wohnwagens. Zumindest hielt Kiyoko das Gebilde für einen Wohnwagen. Allerdings waren keine Räder zu sehen.
Murdoch klopfte vernehmlich an die Tür.
Eine schlanke, dunkelhaarige Frau öffnete und wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. Sie schaute Kiyoko an, dann lächelte sie Murdoch zu. »Tut mir leid, Jamie. Er empfängt heute keine Besucher«, sagte sie.
Jamie?
Kiyoko neigte den Kopf zur Seite. War das sein Vorname?
Murdoch schnupperte. »Machst du etwa Kohlrouladen? Meine Leib- und Magenspeise?«
»Erraten.«
»Ohne mich probieren zu lassen? Dika, du bist herzlos.« Murdoch schenkte der Frau des Magiers ein inniges Lächeln, und Kiyokos Herz dröhnte. Es war nahezu unmöglich, einem Mann etwas abzuschlagen, der zu solch einem warmen Lächeln fähig war.
Doch Dika war stärker als sie. Sie zuckte die Achseln. »An jedem anderen Tag bist du uns willkommen. Aber heute musst du ohne Kohlrouladen wieder gehen.«
»Sag ihm, dass es ein Notfall ist«, bat Murdoch.
Das Lächeln der anderen Frau verblasste. »Er weiß, warum ihr hier seid.«
»Dann weiß er, dass ein Leben auf dem Spiel steht.« Murdoch zog die Tür weit auf, so dass der Knauf Dikas Hand entglitt. »Ich kann verstehen, dass er wegen des Schleiers sauer ist, aber ich lasse mich nicht abspei…«
Ein fülliger Mann mit pechschwarzen Locken, die ihm über die Augen fielen, schob sich plötzlich an Dika vorbei und stellte sich Murdoch in den Weg. »Sauer? Du glaubst, ich habe nur einen kleinen Wutanfall? Du hast ja keine Ahnung, womit du es zu tun hast. Sie herzubringen war ein Riesenfehler.«
Murdoch seufzte. »Du bist der Einzige, der sie retten kann, Stefan. An wen sonst sollte ich mich wenden?«
»Schick sie nach Japan zurück. Begrab sie unter dem Fischteich. Ist mir egal, was du mit ihr anstellst, schaff sie mir nur aus den Augen!« Und damit riss er Murdoch den Türknauf aus der Hand und schlug die Tür zu.
Fassungsloses Schweigen trat ein.
Ein Schweigen, das rasch peinlich wurde.
»Vielleicht habe ich ihn irgendwie beleidigt«, überlegte Kiyoko.
»Mach dich nicht lächerlich«, erwiderte Murdoch zögernd. Er starrte stirnrunzelnd auf die Tür. »Er muss krank sein oder so. Er war immer schon ein bisschen seltsam, aber er ist eigentlich eine gute Seele. Hilfsbereit, kreativ bei der Problemlösung und allzeit bereit, sein Leben zu riskieren.«
»Außer heute.«
Murdoch nickte. »Aye, außer heute.«
»Schade, dass wir ihn nicht angerufen haben, bevor wir uns auf diese lange Reise gemacht haben.« Kiyoko versuchte, ihre große Enttäuschung hinter einem Lächeln zu verbergen. »Ich hatte gehofft, Kalifornien ein bisschen kennenzulernen, bevor ich wieder nach Hause fliege.«
Murdoch antwortete nicht gleich. Sein Blick hielt den ihren fest.
Endlich sagte er: »Ich kann dich nicht gehen lassen.«
Bei diesen Worten hätte ihr heiß werden müssen. Stattdessen wurde ihr kalt. Ihr verlangsamter Herzschlag passte zu dem schmerzhaften Klopfen in ihrer Brust. Sie wusste genau, was er meinte. Jedenfalls nicht, dass er nicht mehr ohne sie leben konnte.
»Es sei denn, ich gehe ohne den Schleier«, ergänzte sie.
Seine Miene verschloss sich. »Du bleibst hier, bis ich dir sage, dass du gehen kannst. Bis du ohne den Schleier
gefahrlos
gehen kannst.«
Ihre Hände zitterten. Kiyoko versteckte sie in den Falten ihres Rocks und konzentrierte sich aufs Atmen, während sie ihre Gedanken zu ordnen versuchte. Er war von Anfang an ehrlich gewesen. Der Verlockung seines schiefen Lächelns zu erliegen, war ihr Fehler gewesen, nicht seiner. »Bist du sagst, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher