Zärtlicher Hinterhalt
Jahren hat mir schon kein Mann mehr auf die Strumpfbänder geschaut.«
Zu ihrer eigenen Überraschung musste Hannah lachen.
»Das hätte ich Ihnen wohl nicht erzählen sollen. Ich bin eine alte Jungfer, und es ist meine Pflicht, den jungen Leuten mit gutem Beispiel voranzugehen.«
»Aber wenn du hinsichtlich deiner Strumpfbänder die Unwahrheit gesagt hättest, wäre das auch kein gutes Beispiel gewesen.« Tante Ethel schlug sich die Hand vor den Mund. »Lügen ist nämlich eine Sünde.«
»Spring braucht überhaupt nicht zu lügen, wenn es um ihre Strumpfbänder geht«, bemerkte Miss Minnie. »Sie braucht sie erst gar nicht zu erwähnen.«
»Ja, sicher, meine Liebe. Aber ich unterhalte mich gerade mit Miss Setterington, und da musste ich dem lieben Mädchen doch etwas erzählen, damit sie sich willkommen fühlt.«
»Miss Setterington hätte die Rede überhaupt nicht auf kratzende Kleider bringen dürfen«, sagte Minnie und hob die Lorgnette, um Hannah zu beäugen. »Offensichtlich stammt sie nicht gerade aus dem besten Stall.«
Hannah zuckte zusammen, als Minnie ihre alte Wunde aufriss.
Deshalb ließ Dougald sich dezidiert kühl vernehmen: »Ich versichere Ihnen, Miss Minnie, ich würde es nur einer Dame aus allerbestem Stall gestatten, sich um meine Tante zu kümmern.«
»Aber sicher«, stimmte Tante Spring ihm zu.
Hannah fragte sich, ob Dougald wohl Dankbarkeit von ihr erwartete, dass er sie verteidigt hatte. Wo sie doch nie so schockierend freimütig gesprochen hätte, wenn er sie nicht provoziert hätte. Aber nein – er stand weit über dem irrwitzigen Geschehen. Um sie ging es ihm keineswegs. Er ließ nur nicht zu, dass irgendwer seine Personal-Entscheidungen in Frage stellte.
»Minnie, du denkst ständig nur an die schickliche Wortwahl, aber nie daran, wie boshaft du dich manchmal anhörst«, äußerte Tante Ethel mit blitzenden blauen Augen. »Miss Setterington scheint eine liebenswerte Person zu sein, und sie kann nähen, was für uns von allergrößter Wichtigkeit ist. Du bist nur eingeschnappt, weil du unter diesen Ohnmachtsanfällen leidest und uns nicht mehr so zurechtweisen kannst.«
Miss Minnie sank mit wachsbleichem Gesicht auf einem Stuhl zusammen.
»Nun seht euch das an, schon hat sie einen«, rief Tante Ethel aus, eilte besorgt auf Minnie zu und hielt ihr das Riechsalz unter die Nase. Tante Isabel nickte Hannah lächelnd zu. »Was ich am meisten hasse, ist, wenn mir diese dummen Strumpfbänder herunterrutschen und um die Knöchel baumeln.«
Tante Spring legte Minnie eine Decke um die Schultern. »Wenn du sie nur einmal ordentlich zumachen würdest, so wie ich es dir gezeigt habe, Isabel, dann würden sie auch nicht immer mit diesem peinlichen, ploppenden Geräusch aufspringen.«
»Ladys!«, hauchte Miss Minnie schwach. »Denkt doch wenigstens daran, dass ein Gentleman anwesend ist.«
Hannah hatte ihren Zorn auf Dougald mittlerweile völlig verdrängt und schaute ihn in hilflosem Mitleid an. Bei
dieser
entfernten Großtante zweiten Grades und ihren Freundinnen war es kein Wunder, dass er alles getan hatte, um Unterstützung zu finden.
Ihre Blicke trafen sich, und einen Moment lang war es wieder wie in den ersten Tagen ihrer Ehe. Sie freuten sich in wortloser Gemeinsamkeit, und dann … dann wusste sie nicht mehr, wie ihr geschah. Das Geplapper der Damen schien zu verstummen, es wurde dunkel im Salon, und für Hannah existierte nur noch eines: der unverwandte Blick seiner meergrünen Augen, die einsame Seele, die sich dahinter verbarg, die Verbundenheit ihrer beiden Seelen …
Doch schlagartig kamen Hitze, Geräusche und Realität zurück. Hannah zwinkerte und tauchte gerade rechtzeitig wieder in der wirklichen Welt des Salons auf, als Tante Spring verkündete: »Ich glaube, du hast Recht, Minnie. Wir werden die beiden im Auge behalten müssen.«
Kapitel 8
»Da wären wir, Miss Setterington. Wir haben das Zimmer heute Morgen gelüftet, geputzt und frische Laken aufs Bett gelegt.« Mrs. Trenchard schob einen schweren Eisenschlüssel ins Schloss und öffnete die Tür am Ende des langen, dunklen Gangs im Ostflügel von Raeburn Castle. Sie bedeutete Hannah vorauszugehen und folgte ihr geschäftig in die kleine Schlafkammer. »Sally hat Ihre Sachen ausgepackt, gebürstet und in den Kleiderschrank gehängt. Im Krug ist Wasser, und sollten Sie morgen früh noch etwas brauchen, rufen Sie einfach eines der Dienstmädchen für den oberen Stock.«
»Vielen Dank für Ihre Mühe.« Die
Weitere Kostenlose Bücher