Zärtlicher Hinterhalt
eifersüchtig, dass er einen seiner Gefolgsleute, dem sie wohl schöne Augen gemacht hat, hat hängen lassen. Und sie hat er in den Turm des Ostflügels gesperrt.«
»Nicht in den Kerker?«
»Sie sollte ja nicht zugrunde gehen.« Mrs. Trenchard hörte sich an, als nähme sie den erbarmungslosen Schurken auch noch in Schutz. »Er wollte sich ihrer nur sicher sein.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihn noch in ihrem Bett willkommen geheißen hat, nach alledem.«
»Sie hat sich aus dem Fenster geworfen.«
Entsetzt schaute Hannah noch einmal nach unten und verspürte wieder diese Höhenangst. Sie schloss die Augen. »Wie absolut grauenhaft!«
»Die meisten Männer mögen es nicht, wenn ihre Frauen sie zum Narren halten. Der derzeitige Lord ist da auch nicht anders.«
Mrs. Trenchard legte eine so bedeutungsschwere Pause ein, dass Hannah die Augen aufschlug. Mrs. Trenchard schaute trübsinnig einem Reiter hinterher, der sich im gestreckten Galopp vom Haus entfernte. Breitschultrig und strotzend vor Kraft, lehnte er sich im Sattel nach vorn und trieb sein riesiges, dunkles Ross in Richtung Meer. Sein Mantel wehte offen hinter ihm her, und das weiße Mondlicht beleuchtete sein schwarzes Haar, in dem zwei auffallende, silberne Strähnen schimmerten.
Dougald ritt des Nachts aus, genau wie Alfred gesagt hatte. Doch wovor floh er heute?
Mrs. Trenchard zog die Vorhänge zu und drehte sich um ihre eigene Achse. »Ich nehme an, Sie haben die Gerüchte über den derzeitigen Lord schon gehört?«
Das also war der Grund für Mrs. Trenchards Gesprächigkeit. »Dass er seine Frau umgebracht hat?«
»So munkelt man jedenfalls. Macht Sie das nicht nervös?«
»Nein.« Sie wusste ja, dass es nicht stimmte – oder wie Dougald ausgeführt hätte:
noch nicht!
Mrs. Trenchard lächelte, offensichtlich befriedigt. »Als ich Sie gesehen hab, dachte ich, Sie seien eine sensible Seele. Aber der Mann hat eh niemanden umgebracht.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Wenn. eine Menschenseele zum Mörder wird, dann hat sie eine Kälte an sich, die man sieht – vorausgesetzt, man weiß, wonach man sucht. Die, die einen Mord begehen, sind verdammt – aber das wissen sie ja. Und morden wieder, wenn man sie dazu treibt – denn was macht es noch für einen Unterschied? Ohnehin landen sie am Tag ihres Todes im Höllenfeuer.« Mrs. Trenchards schlichte, ungeschönte Ausführungen klangen wie die Urteilsbegründung eines durch und durch hartherzigen Richters. Die Haushälterin klatschte zum Schluss noch in die Hände und rieb sie sich energisch. »Genug der Scherze! Sie sind erschöpft von der Reise und wollen morgen bestimmt früh aufstehen, um gleich die lieben Ladys zu treffen. Die Damen sind ganz außer sich, sie hier zu haben. Und ich freu mich auch, dass Sie sich jetzt um sie kümmern. Sind freundliche Geschöpfe, aber ganz schöne Nervensägen.«
»Ich bin sicher, dass ich meine Freude an ihnen habe, egal was die vier mir abverlangen.«
»Ach, Miss, bestimmt! Ab morgen sollten Sie zusehen, dass Sie vor zehn* Uhr zu Bett gehen. Das da sind alle Kerzen, die Sie für diese Woche bekommen.« Mrs. Trenchard runzelte über das bescheidene Häufchen Bücher auf Hannahs Nachttisch die Stirn. »Und Sie kriegen auch dann nicht mehr, wenn Sie abends noch im Bett lesen wollen. Wir Bediensteten sind schließlich nicht dazu da, dem Hausherrn all seine Kerzen und Kohlen zu verbrennen. Außerdem gibt es feste Schlafenszeiten. Ab neun sollten Sie in Ihrer Kammer sein.«
»Warum?« Hannah sah sich zusammengerollt im Bett kalte, dunkle, einsame Nächte verbringen.
»Die Bediensteten fühlen sich wohler, seit es eine Sperrstunde gibt. Die Todesfälle haben alle ein wenig aufgeschreckt.«
»Aber es glaubt doch sicherlich keiner, dass Lord Raeburn …?«
»Sind ein abergläubischer Haufen, die Bediensteten.« Mrs. Trenchard marschierte davon und blieb mit der Hand am Türstock noch einmal stehen. »Weil morgen ja Ihr erster Tag ist, sage ich Sally, dass sie Ihnen ein Feuer machen soll, wenn sie morgen zum Saubermachen kommt.«
Mrs. Trenchard zog die Tür hinter sich zu und ließ Hannah in der öden Schlafkammer im Hause ihres Ehemanns allein. Sie schob die Vorhänge auf und schaute wieder zur Straße hinunter, doch Dougald war verschwunden. Rannte er vor ihr davon? Vor den Erinnerungen, die sie geweckt hatte? Vor der Leidenschaft, die immer noch zwischen ihnen loderte?
Oder lief er vor seinem Verlangen davon, ihr die Hände um den Hals zu
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