Zärtlicher Hinterhalt
die grundlegendsten Zuwendungen jeder Liebesbezeigung entbehrt hatte.
Ein Mädchen, das bis vor einer halben Stunde noch herzlich gelacht hätte, wenn von unwiderstehlichen Gelüsten die Rede gewesen wäre.
Für ihren Seelenfrieden war es gut, dass sie nicht mitbekam, wie die meergrünen Augen sich einen Spalt breit öffneten, ihre Verlegenheit registrierten und sich zufrieden wieder schlossen.
»Was möchtest du eigentlich arbeiten?«
Hannah schoss herum und wischte sich die verschwitzten Handflächen an der Hose ab. »Ich würde gern ein Modehaus aufmachen«, flüsterte sie.
»Wie bitte? Ich kann dich nicht hören.« Er reckte den Hals.
»Ich habe gesagt, ich würde gern ein Modehaus aufmachen«, brüllte sie und war auf einmal wütend.
»Oh.« Er ließ den Kopf sinken und grummelte: »Du brauchst keineswegs zu schreien. So spektakulär ist das nun auch wieder nicht. In der Weise, wie du dich aufführst, dachte ich schon, du wolltest den nacktarschigen schottischen Damen Kilts nähen.«
»Das ist nicht Herausforderung genug«, keifte sie zurück und erschrak bereits eine Sekunde später über ihre Reaktion.
Er schenkte ihr ein schiefes, attraktives Lächeln. »Das wäre es wohl, wenn du es versuchtest.«
Was wahrscheinlich ein Kompliment war, mutmaßte Hannah.
»Und ich dachte, deine größte Ambition im Leben sei, Teil einer Familie zu werden.«
Sie erstarrte. »Woher wissen Sie das?«
»Du bist immer ein schweigsames Mädchen gewesen, aber wenn du in der Kirche die Familien zusammensitzen hast sehen, hast
du
immer diesen sehnsuchtsvollen Blick bekommen.«
Sie hasste ihn dafür, dass er es bemerkt hatte. Sie hasste einen jeden, der erkannte, wie sehr sie sich Eltern wünschte, Großeltern, Geschwister – jeden, den sie ihr Eigen hätte nennen dürfen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass die Menschen Bastarde auslachten, die sich das Unerreichbare wünschten.
Aber Dougald lachte nicht. Seine überwältigenden grüngoldenen Augen waren geschlossen, seine Muskeln entspannt. Er benahm sich nicht wie jemand, der es absonderlich fand, dass Hannah von einer Familie träumte, sondern klopfte neben sich auf den Baumwollberg. »Nun, dann willst du in Wirklichkeit eben ein Modehaus. Magst du mir davon erzählen?«
Langsam kehrte ihre Courage zurück.
Sie krabbelte über den zersplitterten Holzboden, setzte sich mit übereinander geschlagenen Beinen neben ihn – wenn auch nicht allzu nah – und vertraute ihm ihre Pläne an. Zu Anfang zögerlich, dann aber immer bestimmter, sprach sie davon, wie gut sie mit Nadel und Faden umgeben könne. Sie wusste, wie man Wolle spann, wie man Muster webte und variierte, wie man Maß nahm, zuschnitt und allerfeinste Säume nähte. Sie liebte es, zu sticken, zu häkeln und zu stricken. Die Kleider, die sie entwarf, die ganze Näherei: für sie war jedes Stück ein Kunstwerk, das sie innig liebte.
Hannah sah, wie Dougald sich entspannte und zu grinsen
begann.
Das verhieß nichts Gutes.
Würdest du mit mir zurückkehren, wenn ich dich deinen Laden eröffnen lasse?«, fragte er.
Sie legte die Hände in den Schoß und wappnete sich, dem Teufel zu widerstehen. »Ich kann arbeiten und selber etwas zusammensparen. Irgendwann schaffe ich es, meinen Laden zu bekommen … vielleicht, jedenfalls. Dazu brauche ich Sie nicht.«
»Ich bin ein guter Geschäftsmann, und du hast den Enthusiasmus und das Fachwissen, das für Erfolg bürgt. Ich könnte dir das Geld leihen.«
Sie setzte sich steil auf und strahlte ihn an. »Würden Sie das tun? Ich zahle es ganz bestimmt zurück, das schwöre ich.«
»Nun, meine Frau braucht mir ganz bestimmt kein Geld zurückzuzahlen, auch dann nicht, wenn der Laden Bankrott gehen sollte.«
Hannah hätte wissen müssen, dass das der Fangschuss war. Sie wusste es auch, aber hatte es nicht glauben wollen. »Mein Laden wird nicht Bankrott gehen. Ich habe Kontakte aus dem Pensionat und kenne die Eltern meiner Klassenkameradinnen. Sie wissen, wie ordentlich ich arbeite, und kommen sicher gerne zu mir. Außerdem habe ich schon viele Entwürfe im Kopf und einen guten Geschäftssinn.« Zuletzt setzte sie noch eindringlich hinzu: »Aber ich werde mich für ein Modehaus nicht zur Dirne machen. Ohnehin stehe ich schon tief in Ihrer Schuld.
«
»Ich verlange doch nicht von dir, dass du dich prostituierst, sondern ich bitte dich, mich zu heiraten.« Die Wut raspelte durch seine Stimme wie eine Feile.
»Vor harter Arbeit fürchte ich mich nicht und komme mit
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