Zärtlicher Hinterhalt
sehr wenig aus. Ich werde mein eigenes Geschäft eröffnen und brauche des Geldes wegen nicht meine Prinzipien zu vergessen – und Kompromisse zu schließen.«
Ein schwaches, unheilvolles Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Wirklich nicht?«
Dougald machte Hannah nervös, studierte eingehend ihr Gesicht, ihr bebendes Kinn, die verschränkten, unablässig zitternden Finger. Ihm entging auch nicht die Röte an ihrem Hals, die sich klar gegen die helle Haut im Ausschnitt ihres zerknitterten Hemds abzeichnete. Er war ein aufmerksamer Beobachter. »Ich will Sie aber nicht heiraten«, platzte Hannah heraus.
»Wirklich nicht?«, wiederholte er. Hannah war in seiner gelassenen, unermüdlichen Rücksichtnahme gefangen. Er setzte sich auf, streckte ganz langsam die Hände nach ihr aus und nahm sie bei den Schultern. Behutsam holte er sie zu sich, bettete sie auf die warme Baumwolle und sein zusammengerolltes Hemd, wo er zuvor gelegen hatte. Dann ließ er sich langsam, ganz langsam neben ihr nieder, drückte seine Brust an die ihre, zog ihre Hüften heran, legte ein Bein über ihre Schenkel und kam ihrem Gesicht ganz nahe.
»Du bist noch nie geküsst worden«, flüsterte er, und sie konnte seinen Atem spüren, als er sprach.
Wie war es nur so weit gekommen? Es mussten diese hinreißenden Jadeaugen gewesen sein, mit denen er sie hypnotisierte, lockte und jede Vorsicht vergessen ließ. Es musste die Art gewesen sein, mit der er sich bewegte, selbstsicher undgeschmeidig, ohne jede abrupte Bewegung, die ihr hätte Angst machen können. Kein anderer Mann hätte sie vom Sitzen zum Liegen gebracht, von hartnäckigem Widerstand zu hungriger Erwartung, von atemloser Abwehr zu atemloser Neugier.
Tante Spring musste Hannah am Arm schütteln, damit sie aufmerkte. »Liebes, können Sie auch gut mit Nadel und Faden umgehen? Ich und meine Freundinnen haben nämlich einen wunderhübschen Handarbeitsraum. Das Turmzimmer im Westflügel, wo sich, das versichere ich Ihnen, niemals irgendwelche Tragödien abgespielt haben.«
Hannah hatte keine Ahnung, worauf Tante Spring hinauswollte. »Dort fühlt man sich bestimmt sehr wohl, da bin ich sicher.«
»Das würde ich auch meinen. Und das Licht ist so gut.«
»Was wirklich eine Rolle spielt«, sagte Hannah.
»Ja. Weil ich nämlich die halbe Zeit nichts sehen kann«, erklärte Tante Spring.
Miss Minnie seufzte. »Du könntest ja deine Augengläser benutzen.«
Tante Spring riss die Augen weit auf. »Ich habe doch gar keine Augengläser.«
Keiner sagte etwas. Dann beugte Dougald sich vor und hob das Binokel hoch, das an einem Band um Tante Springs Hals baumelte. »Hier sind sie, Tante.«
Mit vagem Ernst nahm Tante Spring die Gläser zur Hand. »Vielen Dank, Dougald. Ich habe sie überall gesucht!« Sie lächelte ihren Neffen an. »Habe ich dir schon gesagt, Junge, wie glücklich ich bin, endlich meinen Neffen hier zu haben?«
Das war also die Verwirrtheit, die Dougald dazu bewogen hatte, für seine Tante eine Gesellschafterin zu engagieren. Tante Spring war weder geisteskrank noch senil, sondern vergesslich und eindeutig ziemlich kapriziös.
»Ich bin ebenfalls froh, hier zu sein, Tante.« Dann schwang er auf dem Absatz zu Hannah herum. »Ich habe den Damen erzählt, welche Expertin du im Nähen bist!«
Wie Hannah ihn verabscheute, wenn er die ihm bekannten Details benutzte, um sie zu manipulieren. »Ich bin eine recht gute Näherin, Madam – aber Kleider entwerfe ich nicht mehr«, teilte sie Tante Spring mit. Dann warf sie Dougald einen bedeutungsvollen Blick zu und fuhr fort: »Mir ist es mittlerweile das Wichtigste, Sachen zu tragen, an denen nichts juckt oder kratzt.«
Sollte der Gedanke an ihre schlichten Kleider ihn abstoßen, dann verbarg er es geschickt – hinter einer exquisiten Verbeugung.
Er musste wirklich dringend eine Lektion erteilt bekommen. Viele Lektionen. Über Frauen, Ehefrauen, Respekt und aufrichtige Menschenliebe.
Aber sie schreckte davor zurück, ihn aufzuklären. Auch wenn sie sich rühmen durfte, auch noch den ungelehrigsten Schülern etwas beizubringen; auch wenn sie ganz hingerissen war von der Vorstellung, Dougald zum Schüler zu haben. Immerhin war er furchtbar verstockt, und sie gab der Versuchung, ihn zu unterrichten, besser nicht nach.
Tante Spring sah sie mit großen, braunen Augen an. »Das ist ja so klug von Ihnen! Gerade jetzt trage ich diese gerüschten Strumpfbänder, die ganz entsetzlich jucken. Und wozu, frage ich Sie? Seit dreißig
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