Zärtlicher Hinterhalt
gehört.«
»Welch eine Erleichterung«, erwiderte Hannah trocken. Gut zu wissen, dass er sich nicht damit aufhielt, den Mägden nachzustellen. Gut zu wissen, dass Mrs. Trenchard den wahren Grund ihres Unbehagens nicht ahnte.
Der nächste Windstoß schüttelte das Schiebefenster. Hannah ging hin und zog die Vorhänge auf. Von Westen her war Wind aufgekommen und hatte den Nebel vertrieben. Kalt glitzerten am schwarzen Himmel die Sterne; der abnehmende Mond ritt auf den Wolkenresten, und Hannah blickte weit über die schattigen Täler und Hügel jener Ländereien, die jetzt Dougald gehörten. Mittendrin streckte ein Baum die kahlen Äste zum Himmel, das Land rollte auf einen leeren Horizont zu, und eine Straße – die, die Hannah aus der entgegengesetzten Richtung vom Bahnhof hergebracht hatte – wand sich auf die unsichtbare See zu.
Eine Böe rüttelte am überalterten Fensterrahmen, und Hannah fröstelte, als die eisige Luft sie streifte.
Mrs. Trenchard eilte an ihre Seite. »Vom Fenster geht es steil nach unten. Es wäre nicht ratsam, dass Sie es aufmachen und sich hinauslehnen.«
Hannah trat vor und schaute die Mauer senkrecht hinab ins Dunkel. Der Grund erschien tiefschwarz und viel zu weit unten. Von einem Anflug von Höhenangst betäubt, wankte sie ein wenig, machte die Augen zu und lehnte sich endlich zurück. »Es ist wirklich sehr tief«, brachte sie mühsam heraus. »Da ist zuerst das Küchengeschoss, dann direkt unter uns das Hauptgeschoss. Ich bin hier also im zweiten Stock …«
»Sie haben die Kerkergewölbe unter der Küche vergessen«, berichtigte Mrs. Trenchard. »Sie haben keine Fenster und sind seit über hundert Jahren nicht mehr benutzt worden – aber glauben Sie mir, sie sind immer noch da, dunkel und feucht. Das weiß ich, weil ich jeden Frühling Leute zum Putzen hinunterschicke. Und natürlich bewahren wir da unten den Wein auf.«
»Natürlich.« Hannah war einfach nur dankbar, dass nicht sie die Kerkergewölbe putzen musste. »Sind sie in der Vergangenheit denn oft benutzt worden?«
»Die Earls of Raeburn hatten schon ihre ruchlosen Momente«, gestand Mrs. Trenchard. »Sie mochten es nicht, wenn ihnen wer in die Quere kam, keiner von ihnen. Der erste Lord war ein Baron, der mit William the Conquerer, Wilhelm dem Eroberer, Einzug hielt. Angeblich hat er das Land besetzt, die Kerker darauf gebaut, den angelsächsischen Lord gleich hineingeworfen und ihn sterben lassen.«
»Na, wunderbar«, murmelte Hannah.
»Zur Zeit der Rosenkriege haben die Lords sich dann den Titel Viscount erworben, und der vierte Viscount soll überhaupt kein angenehmer Mensch gewesen sein, wie es heißt.«
»Das scheint diesen Lords im Blut zu liegen«, murmelte Hannah.
Die Haushälterin zuckte die Achseln. »Die übliche Mischung halt aus guten und bösen Männern. Aber dieser vierte Viscount hat einen noblen Herrn aus dem Hause Lancaster in den Kerker werfen lassen und sich an dessen Frau gütlich getan. Beinahe hätte er das Schloss verloren, als der König alles für sich beanspruchte. Aber dann hat Seine Lordschaft behauptet, dass er immer loyal zu den Lancasters gestanden habe, und König Henry hat ihn erhört, was einfacher war, als ihn loszuwerden.«
»Erfolgreiche Herrscher entscheiden immer nach Zweckmäßigkeit«, resümierte Hannah.
»Das kann gut sein. Über Könige weiß ich nicht sonderlich Bescheid. Ich kenne mich nur mit den Lords of Raeburn aus. Meine Familie dient ihnen schon, solange es Raeburn Castle gibt und wahrscheinlich noch länger.« Mrs. Trenchard zog die Vorhänge weiter auf und deutete hinaus. »Während der Regierung Cromwells war der Lord standhaft dem König ergeben. Sehen Sie die zertrümmerten Reste da drüben?«
Hannah schaute hinaus. Der lange Wall aus bemoostem Fels hinter dem Schloss ließ die Vergangenheit auferstehen und warf seinen schwarzen Schatten übers Moorland.
»Cromwell und seine Männer sind mit ihren Kanonen gekommen und haben den Burgwall zusammengeschossen. Der Lord ist mit dem nackten Leben davongekommen und auf den Kontinent geflohen. Mit der Restauration kehrte er dann nach England zurück und hat für seine Loyalität den Titel eines Earls erhalten.«
»Hört sich an, als sei er ein guter Mann gewesen«, sagte Hannah. »Standhaft und entschlossen.«
»Oh, ja. Das stimmt.« Mrs. Trenchard kratzte sich am Kinn. »Aber leider ein schrecklicher Ehemann. Er hat sich aus Frankreich die allerhübscheste Gemahlin mitgebracht und war dann so
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