Zärtlicher Hinterhalt
legen und sie zu erwürgen?
Sie zog die Vorhänge zu.
Der Himmel wusste, dass Hannah vom Davonlaufen etwas verstand. Sie war achtzehn Jahre alt gewesen, als sie das erste Mal vor ihm und seinen Plänen geflüchtet war. Die ernsthafte junge Hannah. Ihren romantisch veranlagten Schulkameradinnen war sie aus dem Weg gegangen, sobald diese anfingen, miteinander über Männer zu flüstern und was diese Männer taten, wenn es dunkel war. Alles, was Dougald im Zug mit ihr anstellte, war ihr fremd gewesen. Besonders diese Küsse. Nicht die trockenen, die man sich auf die Wange gab, sondern diese nassen, tiefen Küsse. Dougald hatte meisterhaft geküsst und tat es immer noch.
Das erklärte aber nicht ihr eigenes Verhalten von heute Abend. Sie bereute nicht, ihm die Stirn geboten zu haben. Nichts konnte ihr tiefes Unbehagen über seine Veränderung mildern oder ihren Zorn darüber, dass er sie bedroht hatte. Doch als ihre unbändigen Lebensgeister sich regten, hatte Hannah ihre Wachsamkeit in den Wind geschlagen.
Ihn in einer derartigen Weise herauszufordern … sie verstand sich selbst nicht mehr.
Welcher Teufel hatte ihr eingeflüstert, ihn zu küssen?
Kapitel 9
Welcher Teufel hatte ihr eingeflüstert, ihn zu küssen?
Dougald wusste, dass er heute Nacht besser nicht ausgeritten wäre, aber er konnte einfach nicht zu Bett gehen. Nicht wenn seine Frau unter seinem Dach schlief – endlich. Das Mädchen, das er geheiratet hatte, war verschwunden; fortgespült von der Zeit und von Erfahrungen, die sich seinem Zugriff entzogen. An die Stelle des Mädchens war jene Frau getreten, der er heute Abend begegnete – unprätentiös, reserviert, würdevoll. Ein Muster an Haltung, bis er es zu weit getrieben hatte. Wofür sie sich mit Küssen gerächt hatte.
Verflucht schönen Küssen.
Er betrachtete die finstere Straße, die vor ihm lag, ließ den Blick über die geduckten Hügel schweifen, und wie immer stieg Stolz in ihm auf. Das hier waren
sein
Stammsitz,
seine
Ländereien,
sein
Titel. Die Art von Ehre, die seiner Familie über Generationen hinweg versagt geblieben war, so sehr sie sich auch bemüht hatte. Und nun, nach einer Reihe von Unfällen –
Unfällen,
denn er war nicht dafür verantwortlich, egal was die Bediensteten tuschelten – hatte das Schicksal ihm diesen Rang verliehen. Doch alles, woran er noch denken konnte, war Hannah, oben in ihrer Schlafkammer, nicht weit von seinen Gemächern.
Mit voller Absicht hatte er sie dort untergebracht. Er wollte sie in der Nähe haben, um ihr mit sich selbst drohen zu können, ihre Wachsamkeit zu untergraben, ihr schlaflose Nächte zu bereiten. Ironischerweise war nun
er
derjenige. der nicht schlafen konnte.
Im Sattel nach vorn gelehnt, trieb er den Hengst zum Galopp an. Er wollte der Versuchung entfliehen, gestand er sich ein. Wollte sich nicht an ihren Körper erinnern, nackt unter dem seinen. Wollte sich nicht fragen, wie die Jahre diesen Körper verändert hatten. Wollte der lauernden Hoffnung entfliehen, sie könne heute Nacht sein Lager teilen.
Hannah schuldete ihm einen Erben für Raeburn Castle. Und sie würde ihm einen schenken … später. Er hatte nicht all die kalten, einsamen Jahre durchlebt, um am Ende immer noch nicht zu wissen, wie er mit seiner irrgeleiteten Frau umgehen würde. Hatte er nicht »Mörder« flüstern hören; nicht Frauen zusammenzucken sehen, wenn er an ihnen vorüberging; hatte von seinen Geschäftspartnern keine Entschuldigungen ertragen, dass man ihn leider nicht zu sich nach Hause bitten könne – ohne einen Plan zu ersinnen? All das Gerede heute Abend, was die verschiedenen Möglichkeiten anging, war nichts als … Gerede.
Scheidung. Sie wagte es, von Scheidung zu sprechen! Es würde keine Scheidung geben. Und auch keinen Mord. Nein, das wäre zu einfach.
Dagegen Aussöhnung? Mancher hätte es vielleicht so bezeichnet. Schließlich hatte er vor, sie zu behalten. Gelegentlich würde er sie benutzen, so wie sein Vater ihm stets riet, dass Ehefrauen benutzt werden sollten: ohne Jede Liebe, ohne jede Leidenschaft, nur zu Fortpflanzungszwecken. Und Hannah, die ernsthafte, emotionale, enthusiastische Hannah, das Mädchen, das davon geträumt hatte, Teil einer Familie zu sein? Hannah würde es miserabel gehen.
So miserabel, wie ihm in den letzten neun Jahren.
Er konnte es kaum erwarten.
Dougald war furchtbar zornig gewesen über ihre Flucht, nachdem sie beide gerade einmal sechs Monate verheiratet gewesen waren. Vor ihm davongelaufen,
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