Zärtlicher Hinterhalt
nichts.
Wie auch immer. Ein Pferd würde seine Autorität jedenfalls nicht in Frage stellen. Neun lange Jahre lang hatte keiner seine Autorität in Frage gestellt. Grimmig hob Dougald den Blick zum schwarzsamtenen Himmel. Ein jeder hielt ihn für den Mörder seiner Frau: Aber keiner wagte, ihn zur Rede zu stellen, aus Angst, er werde sich schrecklich rächen.
Einzig Hannah fürchtete sich nicht vor ihm. Doch sobald sie erst begriffen hatte, wie sorgsam er seinen Rachefeldzug geplant hatte und wie kalt die Jahre seinen Zorn hatten werden lassen, würde auch sie sich ängstigen.
Stattdessen hatte sie ihn geküsst!
Seine Lenden zogen sich bei dem Gedanken zusammen. Erst schickte sie ihn in die Hölle, und dann erdreistete sie sich, ihn zu küssen.
Dougald hätte am liebsten losgebrüllt. Doch das war nicht mehr seine Art. Lieber ließ er den Hengst gewähren und die geschwungene Straße zum Meer entlanggaloppieren. Die Luft machte ihm den Kopf frei, die Anstrengung brachte sein Blut zum Kochen; doch die Dämonen, die ihn so viele Jahre lang getrieben hatten, begleiteten ihn auch jetzt. Sie ließen ihn niemals allein.
Als er den Hügel über der Küste des Atlantiks erklommen hatte, ließ er das Pferd Schritt gehen und ritt den Pfad hinunter, der sich am Strand zwischen den Felsen hindurchwand und dann wieder hinauf zu den Wiesen und den vom Wind verkrüppelten Bäumen führte.
In seiner Jugend hatten seine Dämonen ihn beherrscht. Damals hatte er gelernt, was es hieß abzustürzen. Er hatte getrunken und herumgehurt und war fast gestorben.
Aber dann war nicht er es gewesen, der gestorben war, sondern sein Vater.
Und Dougald hatte seinen Dämonen nie wieder frei die Oberhand gelassen.
Doch heute Nacht war Hannah mit ihren vollen Brüsten, ihrer aufrechten Haltung und ihrer provozierenden Distanz kurz davor gewesen, seine Dämonen neu zu entfesseln. Verflucht sollte sie sein, denn das hatte nicht passieren dürfen.
Seine Großmutter hatte sie ausgesucht und ihm eingeredet, dass Hannah eine gute Ehefrau abgeben würde, was er ihr widerspruchslos abnahm. Hannah war für ihn irgendein kleines Mädchen gewesen. Was hätte es ihn auch kümmern sollen, wenn doch zur gleichen Zeit seine Rivalen versuchten, sich das Geschäft seines Vaters unter den Nagel zu reißen?
Als Hannah das heiratsfähige Alter erreichte, hatte er sich längst an den Gedanken gewöhnt. Er konnte nicht erkennen, was an dem Arrangement hätte falsch sein sollen, und hatte es, genau genommen, sogar als angenehm empfunden, dass seine Frau ihm letztlich gleichgültig war. Narr, der er damals war, hatte er geglaubt, Hannah sähe die Vorteile dieser Verbindung und würde in die Heirat freudig einwilligen.
Stattdessen hatte sie ihn herausgefordert.
Himmel, würde er je vergessen können, wie sie das erste Mal vor ihm geflohen war? Wobei ihn eigentlich mehr beschäftigte, was danach passiert war …
»Du bist noch nie geküsst worden«, hatte er zu ihr gesagt. Er brauchte sie nicht danach zu fragen – konnte es ihren ernsten Augen ansehen, die sich im Wagon umblickten, als sei dort irgendwo eine Antwort zu finden.
»Ich glaube nicht, dass das eine Rolle spielt«, sagte sie. »Sollte ich mich jetzt vielleicht aufsetzen?«
Wie unschuldig sie war, vorsichtig und höflich nachzufragen, ob sie sich denn aufsetzen durfte, wenn sie doch hätte schreien müssen wie am Spieß. Sie begriff einfach nicht, dass sie seine Aufmerksamkeit erregt und seinen Besitzinstinkt herausgefordert hatte, indem sie fortgelaufen war. Und wenn sie es irgendwann begriffen hatte, würde es zu spät sein. »Ich möchte dich küssen, weil ich der Erste sein möchte.« Er schloss ihr sacht mit den Lippen die Augen. »Und du wirst es mich tun lassen.«
Sie schüttelte den Kopf Nein.
Seine Lippen streiften ihren Wangenknochen und drückten sich an ihren Mundwinkel, federleichte Berührungen, verzaubernd, aufreizend. Sie hatte eine Haut wie Samt, weicher als jede, die er je berührt hatte, und er genoss es. Er legte
den Kopf schräg und presste seine Lippen auf ihre. Insgesamt hielt er sich zurück, blieb sacht und vorsichtig, und sie dankte es ihm mit einem erleichterten Seufzer.
Süßes Ding. Sanft. Weich. Sehnsuchtsvoll. Sie war perfekt. Er berührte die winzige Senke in der Mitte ihrer Oberlippe mit der Zungenspitze. Das überraschte sie. Sie fuhr zurück, und er berührte ihren Mund wieder mit geschlossenen Lippen, wiegte sie in Sicherheit. Dann fuhr er mit der Zunge die
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