Zärtlicher Hinterhalt
eilte ins Frühstückszimmer.
»Was soll das hier werden?«, fragte Hannah. »Willst du mich mit Gewalt festhalten?«
»Gewalt?« Er nahm das Rindfleisch weg und zeigte seine Wunden. »Nein, ich habe keine Gewalt nötig.«
Sein eines Auge sah sie so durchdringend an, dass Hannah schon glaubte, er werde sich schnurstracks auf sie stürzen. Vorsorglich stellte sie die Tasse weg, um sich besser verteidigen zu können.
Sich verteidigen oder ihn willkommen heißen? Welch ein Witz!
Sie wusste nicht mehr, was ihr lieber gewesen wäre. All die Jahre, die sie allein gelebte hatte, waren keusche Jahre gewesen. Und sie war stolz auf ihre Zurückhaltung gewesen. Hannah hatte sich die Männer angesehen. Gut aussehende Männer; Männer, die ihr den Hof machten; Männer, die sie mit den süßesten Worten und den stürmischsten Umarmungen zu verführen suchten. Sie hatte sie alle zurückgewiesen. Mit Verstand und gelegentlich auch einem gezielten Klaps hatte sie sie zur Räson gebracht und auf das reduziert, was sie waren – trotzige jungen oder lüsterne Tiere. Sie hatte sich als eine Bastion der Rechtschaffenheit gesehen, eine Festung, der Charme und geschniegelte Virilität nichts anhaben konnten.
jetzt begriff sie, dass sie nicht etwa standhaft gewesen war, sondern schlicht niemals herausgefordert worden war. Diese anderen Männer hielten dem Vergleich mit Dougald nicht stand. Ihre Körper, ihre Seelen hatten weder ihre Leidenschaft erweckt noch ihre Einsamkeit angesprochen. Denn keiner von ihnen war der Gefährte, den die Natur für sie vorgesehen hatte.
Doch die Natur wollte nur, dass zwei Körper sich in Leidenschaft zusammenfanden, um sich fortzupflanzen. Die Natur verstand nicht, dass eine Frau vielleicht mehr sein wollte als ein Weibchen, das das Rudel vergrößerte.
Als Hannah ihrem Gemahl gegenüberstand, seine Drohungen hörte, wusste, dass er sich wünschte … nein, längst geplant hatte, sie gefangen zu halten wie ein Tier, das einem sonst davonlief, spürte sie dennoch einen kurzen, scharfen Schmerz in den Brustwarzen und warme, fließende Lust in ihrem Unterleib.
Das musste aufhören. Falls er es wusste – und Dougald war immer scharfsinnig gewesen, was elementare Passion anging –, dann würde er ein Verhalten an den Tag legen, das ihr größtmögliche Pein und ihm größtmögliches Vergnügen verschaffte. Es gab nicht den geringsten Zweifel, dass dieses Verhalten tief vergrabene Gefühle aufwühlen würde und zwei nackte Körper erforderte.
Sie verdrängte den Gedanken mit einer Bestürzung, die der jungen Hannah fremd gewesen wäre. Schnellstmöglich musste sie diese Farce zu Ende bringen. Irgendwie hier herauskommen, bevor er noch versuchte, sich auf sie zu werfen, oder sie ihm unverblümt erklärte, was sie mittlerweile von dem jugendlichen Dougald hielt und von der verachtenswerten, besudelten Seele des heutigen.
Mit vor der Brust verschränkten Armen schaute sie streng auf ihn hinab. »Ich bin Miss Hannah Setterington von der Vornehmen Akademie der Gouvernanten, und ich toleriere keine Drohungen.«
Dougald antwortete in einem Tonfall, der so kalt und unerbittlich war wie ihr eigener. »Hier geht es um etwas anderes.«
Sie starrten einander im Kampf um die stärkere Willenskraft an, die keiner von beiden aufgeben wollte.
Tante Spring erschien in der Tür. »Ich fürchte, ich bin im Verbinden von Wunden gar nicht gut, mein lieber junge. Von Miss Setterington wirst du besser versorgt.«
Hannah und Dougald hörten auf, einander anzustarren.
»Deswegen habe ich auch nicht um Ihr Kommen gebeten, Tante Spring«, sagte Dougald.
Sie eilte zu ihm. »Was kann ich für dich tun?«
Sein Timbre klang wie das eines Wanderschauspielers. »Du kennst doch die Familie Burroughs?«
Der Name sagte Hannah nichts. Außerdem war sie gerade damit beschäftigt, ihm ihren Rock aus der Hand zu zerren.
Verständnislos betrachtete Tante Spring das Tauziehen. »Ach, ja sicher, Lieber. Was von ihr übrig ist, zumindest. Nur noch ein altes Ehepaar nämlich. Wirklich ein Jammer!« Sie drehte sich zu Tante Isabel, Miss Minnie und Tante Ethel um, die ihr, von Neugier getrieben, gefolgt waren. »Dougald fragt nach den Burroughs.«
»Die kennen wir«, posaunte Tante Isabel. »Ein angenehmes Ehepaar, aber leider etwas steif.«
»Steif?«, rümpfte Miss Minnie die Nase. »Sie kreisen nur um sich selbst.«
Sir Onslow tauchte hinter ihnen auf, weil ja kein Gespräch ohne ihn stattfinden durfte. »Ja, Madam. Aber die Familie
Weitere Kostenlose Bücher