Zärtlicher Hinterhalt
getan, als die Worte dich nicht weitergebracht haben?«
Sie schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. »Du verdrehst alles. Es war nicht meine Schuld!«
»Du hast mich verlassen, mich allein gelassen. Du hast mich ins Elend gestürzt, der Ungerechtigkeit ausgesetzt und Mordvorwürfen dazu!«
Er meinte, was er sagte. Sie sah ihm seinen Schmerz an, den zu empfinden sie diesen kalten Zyniker nie für fähig gehalten hatte. Er hasste sie und gab ihr alle Schuld.
»Ich habe jahrelang auf diesen Augenblick gewartet, meine Liebe.« Seine Stimme wurde weicher, tiefer, bedrohlicher. »Jahre. Auf diesen Augenblick, wo ich vor dir stehen und dich in kleine Stücke zerbrechen sehen würde!«
Sie konnte sich keinen Dougald vorstellen, der vor Grausamkeit und Heimtücke strotzte. ja, in jener Nacht, als sie auf Raeburn Castle angekommen war, hatte sie an ihm gezweifelt. ja, manchmal hatte sie sich gefragt, ob er es ernst meinte, wenn er ihr mit Misshandlung oder Mord drohte. Doch in irgendeinem Winkel ihrer Seele versteckte sich noch die Erinnerung an jenen Tag im Zug, wie er sich entkleidet und über sein eigenes Verlangen gewitzelt hatte, um es ihr so leicht wie möglich zu machen. Dieser Dougald war ihr immer als der wahre erschienen. Der Mann, den sie verlassen hatte, nicht. Auch nicht der Mann, der heute den Earl of Raeburn vorstellte. »Hast du das so geplant?«
»Jede Kleinigkeit«, antwortete er ruhig.
»Bis auf meinen Sturz durch den Treppenabsatz.«
Er schaute weg. »Bist du dir sicher?«
Entsetzt rang sie nach Luft. »Dougald«, flüsterte sie. »Du hast doch nicht wirklich versucht, mich zu gefährden?«
Als er ihr den Blick wieder zuwandte, wiesen seine Pupillen nur noch einen schmalen, grünen Rand auf. Der Rest war schwarz, ein unergründlicher, grausamer, schwarzer Abgrund, der sich nicht etwa über seiner Seele auftat, sondern über Schmerz, Verbitterung und absolutem Nichts. »Ich habe es dir gesagt. Man bezichtigt mich bereits des Mordes. In der Hölle sitze ich längst. Warum sollte ich dich nicht umbringen? Solange man mich nicht erwischt, werde ich nicht verrufener sein als zuvor.«
Sie stand auf. Der Schmerz in ihrem Knöchel traf sie unvorbereitet. Gepeinigt und geschockt fiel sie aufs Bett zurück.
Er kam so schnell ums Fußende herum, als wollte er sie anfallen.
Hannah zuckte vor ihm zurück, rutschte nach hinten ans Kopfende.
Er lächelte, ein schnelles, gekünsteltes Hochziehen der Mundwinkel. »So gesehen ist Scheidung ein gutes Geschäft, nicht wahr?«
»Raus!«, schrie sie. »Raus mit dir!«
Er trat einen Schritt zurück und verbeugte sich. »Wie Sie wünschen, Miss Setterington. Wir werden uns nicht mehr sehen, bevor Sie abreisen!«
Und er nahm nicht Abschied von ihr, genau wie sie nicht Abschied von ihm genommen hatte – damals vor so vielen Jahren, als sie nach London verschwunden war.
Eine viel jüngere Hannah stand vorm Knight Arms Inn in Liverpool und sah den Stallknechten und Stalljungen zu, die um und über die Kutsche schwirrten und für die nächste Etappe die Pferde wechselten. Es war lange her, dass sie ein öffentliches Transportmittel benutzt hatte – damals, als ihre Mutter noch gelebt hatte. Bevor sie ins Haus der Pippards gezogen waren.
Dougalds Haus. Das Haus, von dem das Kind Hannah geglaubt hatte, sie werde immer dort leben und sicher sein. Das Haus, welches das Mädchen Hannah als errötende Braut betreten hatte, voller Hoffnung, am Ende doch noch einer Familie anzugehören. jetzt erinnerte die kalte, steingraue Villa nur noch an gescheiterte Träume.
Schon in jenem Wagon mit Dougald waren ihr Zweifel gekommen. Schon vor der Heirat hatte sie sich gefragt, ob sie einen Fehler machte. Mutter hatte schließlich nicht geheiratet, weil Vater zu schwach gewesen war, seiner Familie zu trotzen. In gewisser Weise heiratete Dougald ebenfalls aus Schwäche.
Tief im Herzen hatte sie immer damit gerechnet, dass Dougald sie nicht liebte. Sie hatte sich seine Liebe gewünscht. Schon zu oft war sie von so genannten Freunden verletzt worden, die sich dann doch von dem heimatlosen, illegitimen Kind, das sie nun einmal war, abgewandt hatten.
Also hatte sie heute Morgen ihre strapazierfähigsten Kleider zusammengepackt, die Erinnerungsstücke an ihre Mutter und das Geld, das Dougald ihr gegeben hatte. Geld, mit dem er sie ruhig stellte und das sie die letzten Wochen über aus dem einzigen Grunde angenommen hatte – ihn zu verlassen. Sie wollte auf schnellstem Wege nach
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