Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
Kapitel
Harry fiel es nie leicht, in den Schlaf zu finden. In dieser Nacht aber war es ihm unmöglich. Sein Geist, der es gewohnt war, mehrere Probleme gleichzeitig zu lösen, hatte ein neues und unglaublich interessantes Feld zu durchdenken.
Seine Frau.
Schon an einem einzigen Tag hatte er eine Menge über Poppy erfahren. Sie hatte bewiesen, dass sie sehr stark sein konnte, wenn es die Lage erforderte. Sie war keine Frau, die in einer schwierigen Situation einfach zusammenbrach. Und obwohl sie ihre Familie sehr liebte, hatte sie keinen Schutz bei ihr gesucht.
Harry bewunderte Poppy für die Art und Weise, wie sie mit dem Tag ihrer Hochzeit umgegangen war. Und noch mehr bewunderte er sie für ihren Umgang mit ihm . Keine Spur von jungfräulichem Getue, wie sie es nannte.
Er dachte an die glühenden Momente vor dem Verlassen ihres Schlafzimmers, als sie so sanft und gefügig gewesen war, ihr schöner Körper ein loderndes Feuer unter seiner Berührung. Aufgewühlt und hellwach lag Harry in seinem Schlafzimmer auf der anderen Seite des Apartments. Schon der Gedanke, dass Poppy in seinen Gemächern schlief, reichte aus, um ihn wach zu halten. Noch nie hatte er eine Frau in seine Privaträume eingeladen. Seine zahlreichen Affären hatte er von allem Privaten gewissenhaft ferngehalten, und er hatte niemals eine ganze Nacht mit ihnen verbracht. Die Vorstellung, neben einem anderen Menschen zu schlafen, war ihm unbehaglich. Tatsächlich kam ihm der gemeinsame Schlaf sogar intimer vor als der sexuelle Akt. Aber Harry wollte lieber nicht darüber nachdenken, warum das so war.
Harry war erleichtert, als sich der Morgen ankündigte, tief hängende Wolken vor einem silbergrauen Himmel. Er stand auf, wusch sich und kleidete sich an. Er ließ ein Hausmädchen ein, das das Feuer im Kamin schürte und ihm die frisch gebügelten Ausgaben des Morning Chronicle , des Globe und der Times brachte. Der üblichen Routine folgend, würde gleich der Etagenbutler mit dem Frühstück erscheinen, und danach würde er Jake Valentine empfangen, der ihm die Managerberichte aushändigte und seine Morgenliste abholte.
»Wird Mrs Rutledge auch frühstücken, Sir?«, erkundigte sich das Mädchen.
Harry fragte sich, wie lange Poppy wohl schlafen würde. »Klopfen Sie an und fragen Sie sie.«
»Jawohl, Sir.«
Ihm entging nicht, wie das Hausmädchen zwischen seinem und Poppys Schlafzimmer hin und her blickte. Obgleich es für Paare in oberen Gesellschaftskreisen üblich war, getrennte Schlafzimmer zu haben, wirkte das Mädchen sichtlich erstaunt, bevor sie sich zusammennahm und wieder ein ausdrucksloses Geicht aufsetzte. Leicht verärgert blickte Harry ihr nach, als sie das Esszimmer verließ und zu Poppys Zimmer hinüberging.
Er vernahm das leise Murmeln des Hausmädchens und kurz darauf Poppys Antwort. Die gedämpfte Stimme seiner Frau bewirkte, dass ihn ein freudiger Schauer durchfuhr.
Das Hausmädchen kehrte ins Esszimmer zurück. »Ich werde noch ein Tablett für Mrs Rutledge bringen lassen. Haben Sie noch einen weiteren Wunsch, Sir?«
Harry schüttelte den Kopf, und das Mädchen verließ den Raum, woraufhin er seine Aufmerksamkeit wieder den Zeitungen zuwandte. Nachdem er mindestens dreimal vergeblich versucht hatte, sich auf einen Artikel zu konzentrieren, gab er es auf und starrte in die Richtung von Poppys Schlafzimmer.
Schließlich tauchte sie auf, bekleidet mit einem Morgenrock aus blauem, mit Blumen besticktem Taft. Das Haar trug sie offen, die rotbraunen Locken ergossen sich wie flüssiges Feuer über ihre Schultern. Ihr Ausdruck war beherrscht, die Augen wachsam. Am liebsten hätte er ihr das aufwendig bestickte Kleidungsstück vom Leib gerissen und ihren entblößten Körper mit Küssen bedeckt.
»Guten Morgen«, murmelte Poppy und mied seinen Blick.
Harry stand auf und wartete, bis sie zu ihm an den kleinen Tisch gekommen war. Ihm entging nicht, dass sie versuchte, jede Berührung mit ihm zu vermeiden, als er den Stuhl unter sie schob. Geduld , ermahnte er sich. »Hast du gut geschlafen?«, fragte er.
»Ja, danke.« Es war offensichtlich, dass Höflichkeit eher denn ehrliches Interesse ihr gebot, seine Frage zu erwidern. »Und du?«
»Auch ganz gut.«
Poppy warf einen Blick auf die Auswahl an Zeitungen auf dem Tisch. Sie nahm eine in die Hand und hielt sie dann so, dass ihr Gesicht ganz hinter der Zeitung verschwand, während sie las. Da sie offensichtlich nicht zur Konversation aufgelegt war, vertiefte sich Harry
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