Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
Speisesaal zu entwenden. In der Privatheit ihrer eigenen Räume jedoch … wie dem auch sei, neulich morgens ist ein ganzes Frühstücksservice verschwunden. So dass Mrs Pennywhistle vorgeschlagen hat, Blechbesteck zu kaufen, das fortan für die privaten Mahlzeiten verwendet wird.«
»Meine Gäste sollen Messer und Gabeln aus Blech benutzen?« Harry schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, wir müssen einen anderen Weg finden, die Gäste von diesen Bagatelldiebstählen abzuhalten. Wir sind ja keine Postherberge.«
»Mit dieser Antwort habe ich gerechnet.« Valentine sah Harry dabei zu, wie er die obersten Seiten durchblätterte. »Mrs Pennywhistle lässt ausrichten, wann immer Mrs Rutledge es wünsche, sei es ihr eine Ehre, sie durch die Büro- und Küchenräume zu führen und sie dem Personal vorzustellen.«
»Ich glaube nicht …«, begann Harry.
»Das wäre wunderbar!«, fiel Poppy ihm ins Wort. »Bitte sagen Sie ihr, dass es gleich nach dem Frühstück losgehen kann.«
»Das muss wirklich nicht sein«, warf Harry ein. »Schließlich wirst du wohl kaum selbst Hand anlegen wollen.«
Poppy wandte sich mit einem höflichen Lächeln zu ihm um. »Nicht im Traum würde ich daran denken, mich einzumischen. Aber da dies mein neues Zuhause ist, würde ich es gerne etwas näher kennenlernen.«
»Es ist kein Zuhause«, entgegnete Harry.
Ihre Blicke trafen sich.
»Aber natürlich«, widersprach Poppy. »Leute leben hier. Betrachtest du diesen Ort nicht als dein Zuhause?«
Jake Valentine trat unbehaglich von einem Bein auf das andere. »Wenn Sie mir meine Morgenliste geben würden, Mr Rutledge …«
Harry hörte ihn kaum. Er starrte noch immer seine Frau an und fragte sich, warum dieser Umstand für sie so bedeutend war. Er versuchte, ihr seinen Gedanken zu erläutern. »Die bloße Tatsache, dass Leute in diesem Gebäude leben, macht aus ihm noch kein Zuhause.«
»Fühlst du dich denn hier gar nicht zu Hause?«
»Nun«, meinte Valentine verlegen, »ich werde jetzt gehen.«
Die beiden nahmen den überstürzten Abschied des Kammerdieners gar nicht wahr.
»Für mich ist dies ein Ort, der mir zufällig gehört«, erklärte Harry. »Ich schätze ihn aus rein praktischen Gründen. Aber mein Herz hängt nicht daran.«
Ihre neugierigen, aufmerksamen blauen Augen blickten ihn sonderbar mitfühlend an. Niemand hatte ihn je zuvor auf diese Weise angesehen. Er verspürte den Drang, sich zu verteidigen. »Du hast dein ganzes Leben in Hotels verbracht, nicht wahr?«, murmelte sie. »Du hast nie ein Haus mit einem Garten und Bäumen gehabt.«
Harry konnte nicht recht erkennen, welchen Sinn diese Unterhaltung haben sollte. Er wischte die Angelegenheit vom Tisch und versuchte, die Kontrolle über die Situation wiederzuerlangen. »Lass es mich so ausdrücken, Poppy … das hier ist ein Geschäft. Und meine Angestellten sind nicht etwa wie Bekannte oder sogar Freunde zu behandeln, weil es sonst Probleme mit der Führung geben wird. Verstehst du?«
»Ja«, sagte sie, den Blick noch immer fest auf ihn gerichtet. »Ich beginne zu verstehen …«
Diesmal war es Harry, der die Zeitung hochnahm und ihren Blick mied. Ein Gefühl von Unbehagen erfasste ihn. Er wünschte sich kein Verständnis von ihrer Seite. Er wollte sie genießen, sich an ihr weiden wie an seiner Raritätenkammer. Poppy würde sich an die Grenzen halten müssen, die er setzte. Im Gegenzug würde er ihr ein nachsichtiger Ehemann sein – zumindest solange sie sich darüber im Klaren war, dass er die Oberhand behalten würde.
» Wirklich alle «, sagte Mrs Pennywhistle, die führende Haushälterin, mit Nachdruck, »angefangen bei mir selbst bis zur allerletzten Wäschemagd, sind so überaus erfreut, dass Mr Rutledge nun endlich eine Braut gefunden hat. Im Namen der gesamten Belegschaft möchten wir Sie von ganzem Herzen willkommen heißen. Wir werden uns alle Mühe geben, dass Sie sich bei uns wohlfühlen. Dreihundert Angestellte stehen rund um die Uhr zu Ihren Diensten.«
Poppy war gerührt von der sichtlichen Aufrichtigkeit der Frau. Sie war eine große, breitschultrige Person mit einer gesunden Röte im Gesicht und einer Lebhaftigkeit in ihrem Auftreten, die sie kaum unterdrücken konnte.
»Ich verspreche Ihnen«, erwiderte Poppy mit einem Lächeln, »dass ich nicht dreihundert Angestellte in Anspruch nehmen werde. Allerdings bräuchte ich Ihre Hilfe, um eine Kammerzofe zu finden. Bislang habe ich keiner bedurft, aber nun, da ich meine Schwestern und meine
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