Zärtlicher Sturm
Bergen gelebt, in denen sonst nur die Apachen leben.«
»Das ist doch wohl ein Witz!«
»Nein. Er hat acht Jahre lang allein in den Bergen gelebt. Aber als er neunzehn war, ist etwas geschehen, was ihn die Erinnerung hat wiederfinden lassen; und dann konnte er mich aufspüren.«
Sharisse hörte ihm gespannt zu. »Es klingt nicht so, als seist du froh darüber.«
Er lächelte ein trauriges Lächeln. »Er war nicht mehr der, den ich in Erinnerung hatte. Wir waren immer nahezu identisch. Das sind wir jetzt nicht mehr. Diese Jahre, die er ganz allein verbracht hat, haben ihn tiefgreifend verändert.« Er zuckte die Achseln und grinste. »Wenn wir eine große Familie wären – was wir aber nicht sind -, wäre er wohl das, was man als schwarzes Schaf bezeichnet.«
»So schlimm?«
»Nach Meinung mancher Menschen schon.«
Er führt das nicht näher aus, und sie wollte nicht weiter in ihn dringen.
»Was ist bloß aus der Goldmine deines Vaters geworden?«
»Sie ist nie gefunden worden. Eine Ironie des Schicksals, findest du nicht?«
»Daß dein Vater umsonst ermordet worden ist? Das kann man wohl sagen! Und der Mann, der ihn erschossen hat – hat er je seine Strafe bekommen?«
»Sloan ist tot.« Seine Stimme wurde rauh. »Aber der Mann, der ihn für diesen Mord bezahlt hat, läuft noch frei herum.«
»Du weißt, wer das ist?«
»Ja, aber ich kann es nicht beweisen. Ich kann nichts anderes tun, als ihn zum Duell herauszufordern. Und er ist kein guter Schütze. Das heißt, daß es glatter Mord wäre.«
»Oh«, murmelte sie. »Es muß schrecklich für dich sein, nichts tun zu können.«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte er bitter.
Sie wechselte das Thema, damit Lucas sich nicht von ihr bedrängt fühlte.
»Warum bist du nach Arizona zurückgekommen?«
»Auf der einen Seite, weil ich das Stadtleben satt hatte. Aber das war nicht alles. Slade wollte sich nicht in St. Louis niederlassen, und daher habe ich mich entschlossen, näher zu ihm zu ziehen.«
»Er lebt in Newcomb?«
»Slade bleibt nie allzu lange an einem Ort, aber er kommt von Zeit zu Zeit nach Newcomb. Ich kriege ihn manchmal zu sehen, weil er durch diese Gegend hier zieht.«
Darüber dachte sie einen Moment lang nach. »Du mußt ihn sehr gern haben, wenn du ein solches Opfer für ihn bringst.«
Lucas lachte fröhlich über ihre Argumentation. »Schätzchen, ich sehe das nicht als Opfer an. Mir gefällt es hier.«
»Es tut mir leid. Ich wollte damit nicht sagen … jedenfalls freut es mich für dich, daß du deinen Bruder wiedergefunden hast und daß ihr einander wieder nahesteht. Das muß schrecklich gewesen sein, diese jahrelange Trennung.«
»Wie kommst du auf den Gedanken, daß wir einander nahestehen?«
Sie war verlegen, als sie sah, daß er breit grinste. »Nun, ich habe nur angenommen …«
»Slade kann man nicht nahestehen, Sharisse. Das kann niemand, nicht einmal Billy, der Apache, der ihn in den Jahren gekannt hat, in denen er in der Wildnis gelebt hat. Wir stehen einander nicht so nah wie in unserer Kindheit, Zwillinge hin, Zwillinge her.«
»Heißt das, daß ihr Zwillinge seid, die gleich aussehen?«
»Ja, stimmt.«
»Meine Güte. In der Schule gab es Zwillinge, die auch immer gleich angezogen waren. Es war fast unmöglich, sie auseinanderzuhalten. Ist das bei deinem Bruder und dir auch so?«
»Wir ziehen nicht das gleiche an, aber ich vermute, wenn man uns auszieht, könnte uns niemand mehr auseinanderhalten.«
»Ach, du meine Güte«, sagte sie. »Dann muß ich wohl noch dankbar dafür sein, daß er nicht hier lebt. Ich habe schon genug Probleme, mit all dem Neuen zurechtzukommen, ohne mir auch noch Sorgen darüber machen zu müssen, wer von euch wer ist.«
»Ich glaube nicht, daß es dir Schwierigkeiten bereiten würde, uns beide auseinanderzuhalten. Wir sehen gleich aus, aber wir sind so verschieden voneinander wie Tag und Nacht.«
»Aber wie kann …«
»Wenn du ihn kennenlernst, Schätzchen, dann wirst du wissen, wovon ich spreche«, erwiderte er geheimnisvoll, und damit war das Thema beendet. »Gibt es noch andere Punkte, in denen ich deine Neugier befriedigen kann?«
»Im Moment nicht«, sagte sie mit einem Dankeslächeln. Sie streckte sich. »Ich glaube, nach einem so langen Tag wäre mir nichts lieber als ein schönes, warmes Bad vor dem Schlafengehen.«
»Die Eimer stehen dort drüben.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf den Spülstein.
»Aber …« Sie war entgeistert. »Heißt das, daß ich sie
Weitere Kostenlose Bücher