Zärtlicher Sturm
und daher hatte sie diese Schritte einfach ausgelassen. Was konnte es schon schaden, wenn sie ein oder zwei Kleinigkeiten wegließ? Sie hatte genug Essen für drei Personen zubereitet, denn niemand hatte ihr gesagt, ob Mack mit ihnen essen würde oder nicht.
Als sie die Tür öffnete, um Luft zu schnappen, mußte sie zugeben, daß sie etwas derart Schönes wie diesen Sonnenuntergang noch nie gesehen hatte. Im Zug waren die Jalousien immer wegen der Nachmittagssonne heruntergezogen worden, und daher hatte sie nicht gewußt, wie spektakulär die Sonnenuntergänge im Westen waren. Wenn sonst schon nichts bei dieser wahnwitzigen Reise herauskam – so war es ihr doch zumindest möglich gewesen, diesen Anblick zu erleben.
»Warum hast du mich nicht gerufen?«
Sharisse wirbelte herum. Lucas' Hemd stand bis zur Taille offen, und er hatte sich ein Handtuch um den Nacken gelegt. Sein Haar war feucht, und seine gesamte Ausstrahlung war so überwältigend maskulin, daß sie sofort auf der Hut war.
»Es wird doch hoffentlich nicht von mir erwartet, daß ich auch noch Jagd auf Sie mache, wenn es Essen gibt.« Ihr Tonfall war ganz unmißverständlich hochmütig.
Lucas riß seinen Blick von ihr los und ging zum Tisch. »Es reicht, wenn du mir aus dem Fenster zuschreist«, sagte er, während er das Essen betrachtete.
»Ich schreie nicht, Mr. Holt.«
»Wirklich?« Er hatte ihr wieder seine gesamte Aufmerksamkeit zugewandt. »Auch dann nicht, wenn du die Fassung verlierst?«
»Ich verliere nie die Fassung.«
Er lachte. »Schätzchen, eine Rothaarige, die nicht die Fassung verliert, wäre etwas ganz Neues.«
Sharisse schnappte nach Luft. »Ich bin nicht rothaarig.«
»Nein, aber es kommt dem schon recht nah.«
»Ich wüßte nicht, was meine Haarfarbe damit zu tun haben soll. Mein Vater könnte Ihnen sagen, daß ich ein freundlicher und umgänglicher Mensch bin, und dafür halte ich mich auch.«
»Und frei von jeder Aufmüpfigkeit?« Seine Augen lachten.
»Ich mag mich nicht streiten, wenn Sie das meinen«, gab sie zurück. »Ich habe als Kind mehr als genug Streit miterlebt. Ich bin dankbar dafür, daß ich das aufbrausende Temperament meiner Eltern nicht geerbt habe.«
Lucas grinste. »Ich denke, ich habe schon genügend heißblütige Frauen gehabt. Eine bezaubernde, hingebungsvolle Ehefrau wird eine nette Abwechslung sein.«
Sharisse errötete. Ein Gentleman hätte nie auch nur mit einem Wort die Frauen in seiner Vergangenheit erwähnt.
»Wenn Sie sich jetzt bitte setzen würden, Mr. Holt.«
»Wann wirst du endlich aufhören, derart steif zu sein? Und für wen ist dieses dritte Gedeck aufgelegt? Erwarten wir Besuch?«
»Ich wußte nicht, ob Mack mit uns ißt. Sie sagten, daß Mr. Wolf eine Frau hat, die sich um ihn kümmert, aber …«
»So, er ist also Mack, aber ich bin immer noch Mr. Holt?« Ärger blitzte in seinen Worten auf. »Wie kommt das?«
Sharisse stöhnte. »Ich … ich sollte Sie vielleicht doch Lucas nennen«, räumte sie schließlich ein.
»Luke wäre noch besser.«
»Lucas ist angemessener.«
»Ich möchte wetten, daß dein Vater zur Beschreibung deiner Person mehrfach das Wort ›stur‹ verwendet hat.«
Sharisse mußte gegen ihren Willen lächeln. Manchmal fürchtete sie sich vor ihm, aber sein Charme war mitreißend. Wenn man ihn in einen Anzug gesteckt und ihm das Haar geschnitten hätte, hätten die Damen bei ihr zu Hause ihn als einen liebenswerten Lümmel angesehen, vielleicht sogar gefunden, daß er gut aussah. Ja, sogar ziemlich gut. Wenn sie gestern nicht ganz so sehr von seinem rauhen Auftreten und von seiner Körpergröße schockiert gewesen wäre, hätte sie erkannt, daß unter seiner dunkelbraunen Haut ein recht attraktives Gesicht verborgen war. Aber das Weiß einer Lilie war derzeit in Mode, keine bronzefarbene Haut. Daran würde sie immer denken müssen. Es war nicht angebracht, daß sie diesen Mann attraktiv fand.
»Du hast zwar für drei Personen gedeckt, aber das Essen reicht nur deshalb für zwei Mäuler, weil ich nicht besonders hungrig bin. Mack hat uns ein üppiges Mittagessen gerichtet.«
Röte stieg in ihre Wangen, als sie sich fragte, ob er heute mittag hier gewesen war, um zu sehen, wo sein Mittagessen blieb. Nach dem späten Frühstück wäre sie gar nicht erst auf diese Idee gekommen. Was hatte er überhaupt den ganzen Nachmittag über getan?
»Ich habe drei wilde Pferde zugeritten«, sagte er in dem Moment. »Körperliche Arbeit macht hungrig. Wir haben so
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