Zärtlichkeit des Lebens
müssen nicht mitkommen, Kay. Mir geht es gut.«
»Mrs. Lloyd«, lächelnd machte Kay die Flurtüren auf, »ich folge immer den Anordnungen des Chefs. So wünscht er es.«
»Na schön.« Gereizt sah Sarah zu, wie Kay den Schlüssel in die Aufzugstür steckte.
»Ich darf Ihnen doch noch einen Drink einschenken, Mrs.
Lloyd?« Kay lächelte sie mitfühlend an, als sie oben angelangt waren. »Sie schauen aus, als könnten Sie einen vertragen.«
Sarah wollte sie schon anfahren, daß sie allein sein wolle, riß sich dann aber zusammen. Die Frau versuchte ja nur zu helfen.
»Danke, das ist nett. Möchten Sie auch einen?«
»Nicht im Dienst. Einen Brandy?«
»Ja, bitte.« Sarah setzte sich auf das Sofa und versuchte nachzudenken.
Kay beobachtete sie in der verspiegelten Barwand. Sie spürte, wie sich der bittere Geschmack von Wut in ihrer Kehle festsetzte. Sarah saß an ihrem Platz, an dem Platz, den sie selbst hatte einnehmen wollen. Zehn Jahre lang, dachte Kay erzürnt.
Zehn Jahre habe ich gewartet, und sie hat alles in nicht einmal zwei gekriegt. Sie goß den Brandy ein und brachte ihn Sarah.
»Sie müssen über den Lauf der Dinge überrascht sein«, bemerkte sie.
»Überrascht«, murmelte Sarah, als sie den Schwenker nahm, »ist nicht der Ausdruck, der mir eingefallen wäre.«
»Mr. Lloyd dürfte sich freuen.«
»Byron?« Sarah schaute auf. »Warum denn?«
»Nun ja, jetzt verfügt er doch über die Anteilsmehrheit bei Haladay. Er hatte bereits zwanzig Prozent, und Mr. Haladay hat ihm weitere zwanzig Prozent hinterlassen. Zusammen mit Ihren dreißig Prozent hat er jetzt siebzig. Natürlich weiß ich nicht, weshalb ihm Mr. Haladay nicht gleich den ganzen Anteil vermacht hat, aber…« Sie sprach nicht weiter, sondern zuckte mit den Schultern. »Ich kann nur hoffen, daß sie ihre Meinungsverschiedenheit vor Mr. Haladays Tod noch bereinigt haben.«
»Meinungsverschiedenheit?«
»Ja, es ist zu schlimm, daß sie am Abend vor seinem Tod miteinander streiten mußten, nicht wahr?«
»Wovon in aller Welt reden Sie?« Sarah hatte sich erhoben, aber Kay hörte nicht auf zu lächeln.
»Wußten Sie nichts davon?« Ihre Stimme klang so unbeschwert und geschäftsmäßig wie immer. »Ich dachte, Mr.
Lloyd hätte es Ihnen gegenüber erwähnt. Ich mußte an diesem Abend Überstunden machen und wollte gerade einige Unterlagen in Mr. Haladays Büro bringen, als ich sie streiten hörte. Natürlich lauschte ich nicht, sondern legte die Unterlagen auf den Schreibtisch seiner Sekretärin und ging. Aber Mr.
Haladay war wütend. Er hatte eine kräftige Stimme.«
»Byron hätte mit Max nicht gestritten«, beharrte Sarah und dachte an sein Herz. Und an den Herzanfall, der ihn das Leben gekostet hatte.
»Nun ja, es war bestimmt nur eine Meinungsverschiedenheit.«
Kay genoß den Anblick, wie entsetzt Sarah war. »Mr. Haladay hat sich manchmal zu sehr aufgeregt. Ich gehe jetzt. Sie möchten bestimmt allein sein.«
Als Kay in der Halle verschwand, setzte sich Sarah wieder.
Fünfzig Millionen Dollar, dachte sie benommen. Dreißig Prozent von Haladay Enterprise. O Gott. Und Byron hat sich mit Max am Abend bevor er starb gestritten. Nein, unmöglich, sagte sich Sarah. Er hätte Max niemals so aufgeregt, er wußte doch, wie schlimm es um sein Herz stand. Byron kann sich doch beherrschen.
Dann erinnerte sie sich daran, in welcher Verfassung er sie an diesem Abend verlassen hatte – an dem er sie wie ein Besessener geliebt und dann allein gelassen hatte. Nein, nein, nein! Sie versuchte, ihre Gedanken zu verdrängen. Er hatte bestimmt nicht seinen Zorn an Max abreagiert. Dazu hätte er gar keinen Grund gehabt. Kay hatte sich geirrt. Sich geirrt oder gelogen.
Als sie den Aufzug hörte, sprang Sarah auf und wartete.
Byron bemerkte ihre starre Haltung und das unberührte Brandyglas. »Du solltest das trinken und ins Bett gehen.«
»Wie lange hast du schon gewußt, was Max in seinem Testament angeordnet hatte?«
Byron ging zu ihr, nahm ihren Brandy und trank ihn selber.
»Soweit es dich betrifft? Seit sechs Monaten von deinem Anteil, seit zwei Wochen von dem Rest.«
Sarah atmete langsam aus. »Nun gut, Byron, warum hat mir Max die Beteiligung vermacht?«
»Er kannte dich. Er wußte, daß du gescheit, ehrgeizig und voller Energie bist.« Byron stellte den Brandy hin und nahm sich die Krawatte ab. »Er wollte, daß Haladay in starken Händen bleibt – und zugleich wollte er sicherstellen, daß keiner ein zu großes Stück vom
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