Zärtlichkeit des Lebens
ein Gelände mit dichtem Baumbestand. Sarah nahm einen Geruch wahr, den sie gleich darauf als Zitrusduft erkannte. Anscheinend besaß Harrison einen Orangenhain. Die Straße erreichte eine sanfte Anhöhe und verlief dann eben, und hier wurde man der Villa zum erstenmal ansichtig. Sarah zog die Handbremse, stellte den Motor ab und starrte die Villa an. Dreidimensional sah sie noch schlimmer als auf den Fotos aus. Kein Wunder, daß Cassidy so geschnaubt hatte. Für einen Menschen mit seinem Harmonieempfinden war dieses zusammengewürfelte Ding da ein Grund zum Heulen.
Sarah schien es wie ein Alptraum, auf den sie die Schnappschüsse nur unzureichend vorbereitet hatten.
Das ursprüngliche Gebäude, bemerkte sie, verfügte noch über einen gewissen angeberischen Charme. Doch hatte man allerlei Flügel und Türmchen angefügt, die sich nach oben und zu den Seiten erstreckten, bis das Lächerliche ins Groteske umgeschlagen war. Sie schloß kurz die Augen und atmete die orangenduftgeschwängerte Luft ein. Das Bild des Hauses war auf ihrer Netzhaut eingraviert.
»Mist«, murmelte sie, während sie den Motor wieder startete.
Sie dachte an die schönen, klaren Entwürfe in ihrer Aktenmappe und gab Gas. »Vielleicht hat mir Cassidy alles andere als einen Gefallen getan.«
Sie stellte den Wagen neben dem Eingang ab und stieg zwei steinerne Stufen zur Vordertür hoch, um den großen Messingtürklopfer in Form eines Löwenkopfes zu betätigen.
Die Frau, die an die Tür kam, trug förmliche graue Dienstmädchenkleidung und eine weiße Schürze.
»Miß Lancaster.«
»Ja.« Sarah versuchte ein Lächeln. »Guten Tag.«
Wortlos trat die Frau zur Seite, um Sarah hereinzulassen.
Dann drehte sie sich um und durchquerte auf leisen Kreppsohlen eine große Eingangshalle. Nach einem schnellen Blick auf die riesigen Kristalleuchter und die gewundene Treppe folgte ihr Sarah. Überall gab es unvermutete Bögen, und geschnitzte Türstürze stachen hier und da ins Auge. Die Haushälterin schwenkte unvermittelt nach rechts und führte sie in ein Zimmer.
»Mr. Reed kommt sofort.«
»Danke«, sagte Sarah, als sie langsam im Kreis das Zimmer abschritt. Die Überfülle faszinierte und stieß sie gleichermaßen ab.
Es gab niedrige Diwans aus Brokat, auf denen in sorgfältig berechneter Unordnung Satinkissen lagen, schwere goldfarbene Vorhänge mit dünnen Stores an den Fenstern und einen riesigen, in Gold gerahmten Spiegel über einem weißen Marmorkamin.
Neben dem Kamin stand eine große, üppig verzierte Bodenvase aus Messing, die ein Arrangement aus Pfauenfedern enthielt.
Sarah trat an die rote Samtbar und goß sich, als sie eine Wermutflasche entdeckte, ein Glas ein. Sie trank gerade ihren ersten Schluck, als Harrison Reed hereinkam. Sarah erkannte auf den ersten Blick, daß Dallas ihn anhimmeln würde.
Er trug bräunliche Reithosen, ein Seidenhemd mit großem Kragen und weiten Ärmeln und war schlank und braungebrannt; seine berühmte kastanienbraune Haarmähne schien perfekt zerzaust. Die klassisch geschnittenen Gesichtszüge wirkten durch die tiefen Linien noch anziehender; die dunklen Augen waren so hinreißend, wie sie sie von der Leinwand her kannte.
Zweifellos wirkte er eher wie vierzig als fünfzig, und letzteres war er bekanntlich. Geld, folgerte Sarah, ist ein Jungbrunnen.
»Sie sind Sarah Lancaster, meine Architektin?« Er mußte die Überraschung in seiner Stimme nicht vortäuschen. Sarah entsprach überhaupt nicht seinen Erwartungen. »Den letzten Architekten, den mir Max ins Haus geschickt hat, um das Badehaus zu bauen, war klapperdürr, mittelalterlich und mit beginnender Glatze.«
»Carl Masters«, antwortete Sarah, als sie den Gegenstand seiner Beschreibung erkannte. »Er arbeitet derzeit an einem Projekt im Staat Washington.« Sie streckte die Hand aus. Ihr gefielen die schroffen Gravuren seines Gesichts, und er erfüllte ihre Erwartungen voll und ganz, als er ihr die Hand küßte. Die Geste paßte zu ihm.
»Welcher Glücksfall für mich.«
»Ich würde mich freuen, wenn Sie auch so denken, nachdem ich Ihnen meine Ideen gezeigt habe.« Geschickt entzog sie ihm ihre Hand. »Hoffentlich haben Sie nichts dagegen«, fügte sie hinzu und deutete auf ihr Glas. »Das Zimmer schien förmlich danach zu verlangen.«
»Nein, ganz und gar nicht. Bitte…« Die Armbewegung fiel nur ein ganz klein wenig theatralisch aus. »Nehmen Sie Platz.«
»Danke, aber ich würde mir den Bauplatz am liebsten sofort anschauen.« Nach
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