Zärtlichkeit, die du mir Schenkst
dass Becky ihr verzeihen würde, selbst wenn Rafe sie verdammte.
»Ich habe dir gesagt, dass Becky meine Tante ist und in Kansas City eine Pension betrieb«, begann sie und fühlte sich elend. Sie konnte ihn immer noch nicht ansehen, und sie hatte die Hände auf dem Schoß zu Fäusten geballt. »Es hat sich herausgestellt, dass sie meine Mutter ist - ich bin unehelich geboren -, und die Pension war in Wirklichkeit ... ein Bordell Rafe schwieg, lauschte so angestrengt, dass er starr war. Er war auch kalt geworden. Emmeline spürte die Veränderungen in ihm, obwohl sie sich nicht berührten. »Ich war behütet, und ich kam nie in die Nähe des Geschäfts.« Sie verstummte kurz und erschauerte vor Emotion. »Jedenfalls, Becky schickte mich auf eine gute Schule und tat alles, um mich zu einer feinen Dame zu erziehen. Aber ich fand wegen des Stigmas der Pension keine Freunde. Ich war dumm und gelangweilt und vermutlich auch ein wenig verzogen, und eines Nachts...« Sie geriet ins Stocken und biss sich auf die Unterlippe.
»... eines Nachts beschloss ich, ein schickes Kleid anzuziehen und so zu tun, als wäre ich ... eine Dame der Nacht. Nur so, als Ablenkung und zum Spaß.« Sie wartete wieder, doch Rafe schwieg weiterhin. »Ich ging in die Pension hinunter und setzte mich auf die Treppe, nur um zuzuschauen. Ich wollte mich wegstehlen, wenn mich jemand bemerkte, und plötzlich kam dieser Mann auf mich zu.«
Sie blickte Rafe von der Seite an und sah, dass er die Augen geschlossen hatte. Seine Lippen waren zusammengepresst, und er wirkte wie jemand, der sich gegen einen Schlag wappnen will.
»Er ... er setzte sich auf der Treppe zu mir und bot mir Whisky an«, fuhr sie fort, denn jetzt gab es kein Zurück mehr. »Wir unterhielten uns, und er brachte mich zum Lachen, und alles erschien so harmlos. Ich fühlte mich als etwas Besonderes und, nun, irgendwie auserwählt. Niemand hatte mir je zuvor so viel Beachtung geschenkt. Ich trank mehr und mehr Whisky, und dann war ich überzeugt, dass Becky oder eine der anderen mir auf die Schliche kommen würden und ich mehr Probleme bekommen würde, als ich je für möglich gehalten hatte...« Sie hielt inne und lachte bitter über die Naivität dieser Sorge. »Ich wollte mich davonstehlen. Der Mann ging mit mir in den Flur, dort war es dunkel.
Er küsste mich ein paarmal, und ... und ich begann mich schwindelig zu fühlen. Er fragte mich nach meinem Zimmer, und ich log ihn an. Eines der Mädchen hatte gerade gekündigt, und ihr Zimmer war frei, und so behauptete ich, es sei meines und ...«
Rafe stand plötzlich auf und drehte ihr den Rücken zu. Seine Haltung wirkte steif, als er sich vor dem Sternenlicht abhob, das vom Bach reflektiert wurde. Er sprach noch immer nicht.
»Ich erinnere mich, dass er mich in dieses Zimmer trug und meine Schuhe aufschnürte.« Sie schluckte, dachte verzweifelt, dass Becky Recht gehabt hatte und sie die Geschichte für sich hätte behalten sollen, doch jetzt war es zu spät. Es war viel zu spät, um aufzuhören. »Am nächsten Morgen wachte ich allein im Bett auf, und auf dem Nachttisch lag Geld.«
Stille.
»Rafe«, flüsterte sie. »Rafe, sag etwas, bitte.«
Er drehte sich langsam um und sah auf sie hinab. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, und obwohl sie wusste, dass er ihr körperlich nichts antun würde, waren sein Zorn und Schmerz offenkundig. »Du warst...« Seine Stimme war ein Krächzen, das ihr fast in den Ohren schmerzte. »Du warst eine Hure?«
Da begann sie zu weinen, kläglich, hoffnungslos wie ein verletztes Kind. »Nein«, widersprach sie. »Nein! Es war ein einziges Mal, ein Fehler - ich erinnere mich nicht einmal, ob ...«
»Ein Mal oder tausend Mal«, knirschte Rafe. »Du hast für Geld mit einem Mann geschlafen.«
So schrecklich dies auch war, es war noch nicht alles. »Da ist noch was«, fuhr sie fort, und am liebsten wäre sie im Boden versunken.
»Allmächtiger«, flüsterte Rafe. »Was?«
»Der Mann ... der Mann, mit dem ich zusammen war ... es war Holt.«
Die Stille war entsetzlich. Wutschreie und Anschuldigungen wären leichter zu ertragen gewesen, aber da war nur dieses schreckliche, quälende Schweigen.
»Rafe«, sagte sie. »Es tut mir Leid.«
Er ging von ihr fort, genau wie sie es befürchtet hatte. Mit langen Schritten eilte er nicht zum Haus, wo Angus, Kade oder Concepcion ihn vielleicht ein wenig beruhigen und trösten konnten, sondern zum Stall. Wie Jeb wollte er fortreiten, vielleicht für immer.
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