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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Ist schon ein ›krasser Typ‹, wie sich mein Sohn ausdrücken
würde.«
    Als ich ihm von der Kundgebung auf dem Syntagma-Platz und der
Spendensammlung erzähle, lacht er auf. »Sehen Sie zu, dass Sie ihn schnappen,
sonst kandidiert er noch bei den nächsten Wahlen. Und als Premierminister wäre
er unantastbar, ganz abgesehen davon, dass seine Straftaten nach der zweiten
Amtszeit verjährt wären. Da braucht er nur einen Untersuchungsausschuss
einzuberufen, und die Sache ist gegessen.«
    Als ich zurück im Büro bin, meldet sich Vlassopoulos zum Rapport.
Daher weise ich Koula an, Mania Lagana herzuholen. Während ich auf die
Psychologin warte, läutet mein Handy. Spyridakis ist dran. »Ich weiß jetzt, wer
sich für Karadimos’ Unbedenklichkeitsbescheinigung starkgemacht hat.«
    »Wer?«
    »Der Vizefinanzminister, mein politischer Vorgesetzter, der ständige
Stargast der Nachrichtensendungen.«
    [362]  Mir ist klar, dass ich Gikas benachrichtigen muss, denn das ist
keine Information, die man einfach so für sich behält. Doch Mania Laganas
Eintreffen verschafft mir eine kleine Atempause. Ich rufe meine drei
Assistenten herbei, damit wir alle zusammen ihren Schlussfolgerungen lauschen
können.
    »Da Sie doch so dringend eine erste Einschätzung benötigen, habe ich
mich sofort an die Arbeit gemacht«, sagt sie lachend. »Also habe ich das
Dossier gelesen, das Sie mir gegeben haben, und mir die gestrige
Nachrichtensendung und das dort veröffentlichte Schreiben angesehen.«
    »Und was schließen Sie daraus?«
    »Ich weiß ja nicht, in welchen Kreisen Sie genau ermitteln, Herr
Kommissar, aber wenn Sie ihn unter Leuten suchen, die sich ungerecht behandelt
fühlen – entweder weil sie wegen Schulden beim Staat im Gefängnis gesessen
haben, oder weil ihr Vermögen beschlagnahmt wurde, da sie ihre Kredite nicht
zurückzahlen konnten –, dann fürchte ich, dass Sie nur Ihre Zeit verschwenden.«
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragt Dermitsakis.
    »Erstens, weil wir es mit einer sehr belesenen Person zu tun haben.
Seine Briefe sind gut geschrieben. Er hat nicht nur einen Hochschulabschluss,
sondern mein Gefühl sagt mir, dass er sich ständig weiterbildet. Und da ist
noch etwas, das mir in Bezug auf seinen intellektuellen Hintergrund aufgefallen
ist.«
    Ich packe die Gelegenheit beim Schopf, um mit meinem Wissen zu
prahlen. »Die antiken Quellen, die er in zwei seiner Schreiben zitiert.«
    »Ja, aber nicht nur. Heutzutage können Sie alle antiken Texte bei
Google finden und mit copy-paste jeden [363]  beliebigen
Ausschnitt verwenden. Um den richtigen auszuwählen, muss man allerdings wissen,
wo man ihn suchen muss. Die von ihm ausgewählten Zitate zeigen, dass er ganz
bestimmte Quellen aussucht und auch weiß, wo er sie finden kann. Mir ist aber
noch etwas anderes aufgefallen.«
    »Und was?«, fragt Koula.
    »Haben Sie gestern die Übersetzung der Ilias gesehen, aus der er zitiert hat?«
    »Ja«, stimme ich zu.
    »Hat der Stil der Übersetzung gar keinen Eindruck auf Sie gemacht?«
    »Mir kam die Sprache so alt vor wie die Ilias selbst«, bemerkt Koula.
    »Das stimmt, Koula. Und weißt du, warum? Weil der Ausschnitt aus
einer uralten Übertragung stammt. Das lässt zwei Schlüsse zu. Erstens, dass er
mit alten Texten sehr vertraut ist. Denn er hätte ja auch andere, modernere
Übersetzungen der Ilias verwenden können. Wir können
also festhalten, dass der nationale Steuereintreiber nicht nur aus antiken
Quellen zitiert, sondern auch eine Übersetzung auswählt, die aus einem anderen
Jahrhundert stammt. Warum tut er das, Herr Kommissar?«
    »Sagen Sie es mir«, erwidere ich lachend.
    »Also: Er tötet mit Schierlingsgift, das heutzutage nicht mehr
benutzt wird. Seine ersten beiden Opfer lässt er auf archäologischen Stätten
zurück. Und in der Folge tötet er mit Pfeil und Bogen – wie Apollon, auf den er
sich beruft. Und als er eine Übersetzung der Ilias braucht, greift er auf die besagte Übertragung zurück. Es ist, als wollte er
uns sagen, dass er mit unserer Zeit nichts zu tun haben will«, erläutert [364]  sie. »Es ist, als ob er alles Moderne ablehnte und lieber zu einem antiken
Gift, zu antiken Orten, zu antiken Texten und zu altertümlichen Übersetzungen
greift. All das legt den Schluss nahe, dass der Mörder jede Beziehung zum
heutigen Griechenland verweigert.«
    Sie lässt ihren Blick über uns schweifen. Als sie merkt, dass wir
ihr nichts entgegenhalten können, sondern auf die Fortsetzung warten,

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