Zahltag
Blatt
Papier, das auf einem Schuhkarton liegt.
Es ist eigentlich kein Brief, sondern eine handschriftliche
Erklärung.
Ich kann meine Einkommensteuer
nicht bezahlen, und auch für die Umsatzsteuer fehlt mir das Geld. Da ich meine
Kredite nicht bedienen kann und mir die Bank nichts mehr gibt, kann ich keine
Ware mehr einkaufen. Auch mein Mut und meine Kraft sind auf den Nullpunkt
gesunken. Meine Frau soll mich nicht mit Handschellen im Gefängnis sehen. Und
mein Sohn soll sich nicht für mich schämen. Manche werden mir vielleicht
Feigheit vorwerfen. Vielleicht haben sie sogar recht damit. Aber ich kann
einfach nicht mehr. Jannis.
Ich lege den Zettel wieder hin und trete, ohne noch einmal
zurückzublicken, aus dem Warenlager. Da man, wenn man aufgewühlt ist, sich am
besten mit etwas ablenkt, wende ich mich an den Nachbarn.
»Wie haben Sie ihn gefunden?«, will ich von ihm wissen.
»In der letzten Zeit war Jannis ganz schlecht drauf. Immer [359] wieder
sagte er: ›Selbstmord ist die letzte Rettung.‹ Anfangs nahm ich das nicht
ernst, aber dann begann ich mir Sorgen zu machen und versuchte ihm Mut
zuzusprechen. Heute hat er seinen Laden aufgemacht, ohne mich auch nur
anzuschauen. Sonst grüßte er mich jeden Morgen. Das kam mir komisch vor,
deshalb beschloss ich nach einer Weile, nach ihm zu sehen, doch der Laden war
verschlossen. Ich habe ein paar Mal seinen Namen gerufen. Als er nicht öffnete,
ahnte ich, dass etwas geschehen war, und rief die Nachbarn zu Hilfe. Gemeinsam
haben wir die Tür aufgebrochen. Ich habe ihn dann gefunden, weil ich als Erster
im Lager war.«
Er redet drauflos, als hätte er alles auswendig gelernt. Ich klopfe
ihm tröstend auf die Schulter und wende mich zum Gehen. In der Zwischenzeit ist
der Rettungswagen eingetroffen, die Sanitäter betten die Frau gerade auf eine
Trage. Sie hat die Augen jetzt geöffnet und starrt ins Leere.
Ich warte noch ab, bis der Krankenwagen abgefahren ist. Als ich auf
den Gehsteig trete, spricht mich ein kleingewachsener, kahlköpfiger Typ an.
»So werden wir alle enden«, sagt er. »Es wird sich zwar nicht jeder
gleich das Leben nehmen, aber wenn uns das Geld fehlt, sind uns die Hände
gebunden, und wir können unseren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Dann
müssen wir unsere Läden schließen, haben nichts zu beißen und können unsere Kinder
nicht mehr auf die Uni schicken. Das ist so gut wie Selbstmord.«
Darauf erwidere ich nichts und lasse ihn stehen. »Reden ist Silber,
Schweigen ist Gold«, sagte meine selige Mutter immer. Doch nun sind wir so
weit, dass uns sogar die Worte fehlen.
[360] 47
Da ich keine Lust auf eine nach dem nationalen
Steuereintreiber johlende Menge habe, biege ich in die Voulis-Straße ein, gehe
dann weiter in die Karajorgi-Servias, folge der Fußgängerzone auf der
Voukourestiou-Straße und erreiche über die Akadimias-Straße den
Vassilissis-Sofias-Boulevard. Ich genieße es, den Verkehrsstau als
unbeteiligter Zuschauer mitzuerleben, während vom Syntagma-Platz zwar Parolen
herüberdringen, mir der Anblick der Demonstranten jedoch erspart bleibt.
Ich starte den Seat und fahre los. Die Strecke zum Syntagma-Platz
war zwar die Hölle, doch umso paradiesischer ist nun die Fahrt nach Ambelokipi.
Im Handumdrehen erreiche ich die Dienststelle und finde auf meinem Schreibtisch
die Nachricht von Koula vor, dass Mania Lagana persönlich vorbeigeschaut hat.
»Wann war sie denn hier?«, frage ich Koula am Telefon.
»Vor einer Stunde. Sie hat mir gesagt, sie hätte Ihnen einiges zu
berichten.«
»So schnell?«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, dass sie ihr Handwerk versteht«,
erwidert sie stolz. »Sie ist in ihrem Büro. Soll ich Sie herüberrufen?«
»Sobald Vlassopoulos da ist. Das hören wir uns am besten alle
zusammen an.«
[361] Ich fühle mich niedergeschlagen und habe Kopfschmerzen, da ich
die Erinnerung an den Erhängten nicht loswerde. So fahre ich auf einen Mokka in
die Cafeteria hinunter, in der Hoffnung, dass sich damit meine Stimmung
aufhellt. Dolianitis steht vor mir in der Schlange und wartet auf seinen Tee,
den er immer trinkt. Als mich die Frau hinter dem Tresen begrüßt, dreht er sich
zu mir um. »Also, Sie beneide ich im Moment nicht«, meint er. »Zum Glück ist
dieser Kelch an mir vorübergegangen.«
»Tja, auf mich braucht wirklich keiner neidisch zu sein.«
»Andererseits habe ich absolut nichts dagegen, wenn der nationale
Steuereintreiber die ganzen Häuptlinge und den EYP dermaßen vorführt.
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