Zahltag
länger, dass ihr und
jetzt auch Fanis mich immer noch unterstützen müsst. Ich gehe mit
Schuldgefühlen ins Bett und wache morgens damit auf. Du hast mir alles geboten,
doch dieses Land bietet mir null und nichts.«
Plötzlich bricht sie in Tränen aus. Sie schlägt die Hände vors
Gesicht, während ihre Schultern beben. Da ich meine Tochter nur selten habe
weinen sehen, fühle ich mich etwas überfordert. Doch Adriani weiß, was zu tun
ist. Sie setzt sich an ihre Seite, legt ihr den Arm um die Schultern,
streichelt ihr Haar und drückt ihr einen Kuss darauf.
»Alles wird gut, Katerina, alles wird gut«, murmelt sie, und ich
weiß nicht, ob sie Katerinas Tränen meint oder ihre ausweglose Lage.
Tatsächlich beruhigt sie sich schon kurz darauf. Sie wischt sich die
Tränen von den Wangen, steht auf, küsst uns beide zum Abschied und geht zur
Tür. Keine Ahnung, warum sie [68] so abrupt aufbricht – vielleicht, weil sie die
Diskussion nicht weiterführen möchte, oder auch, weil sie sich schämt, dass sie
vor uns losgeheult hat.
»Eins kann ich dir jedenfalls sagen: Ich habe nicht vor, mir selbst
vorzulügen, dass ich Arbeit habe«, meint sie an der Tür. »Hier machen wir uns
doch alle etwas vor. Die einen, dass sie einen Job haben, die anderen, dass sie
Reformen durchführen, die dritten, dass sie die Gesetze anwenden. Wir leben
doch alle in einer Scheinwelt.«
Als wir allein zurückbleiben, bricht Adriani ihrerseits in Tränen
aus. »Ich verstehe sie manchmal einfach nicht, obwohl sie doch meine Tochter
ist«, stellt sie schluchzend fest. »Sie ist klug, gebildet und begabt, aber
dann tut sie wieder etwas völlig Unbedachtes und macht alles kaputt. Und
diesmal mehr denn je. Sie ist drauf und dran, sich ihr Leben zu ruinieren.«
Ich muss mich zurückhalten, um nicht selber loszuheulen, denn auch
mich nimmt das Ganze mit. Dennoch bemühe ich mich, ihr moralische Unterstützung
zu bieten.
»Betrachte es doch einmal so: Die Anfrage des UN -Flüchtlingskommissariats ist eine Anerkennung,
sowohl für ihr Studium als auch für ihre Leistung. Natürlich ist so ein Angebot
verlockend.«
»Ja, und Uganda findest du auch verlockend? Warum muss sie denn nach
Uganda, um sich Anerkennung zu holen?«, fragt sie mit entwaffnender Naivität.
Als sie merkt, dass ich ihr nichts entgegensetzen kann, fährt sie fort: »Auch
wir haben Fehler gemacht, Kostas. Wir haben ihr immer alles durchgehen lassen.
Wir haben ihr nicht beigebracht, dass man auch Verpflichtungen eingeht, dass
man nicht immer seinen [69] Kopf durchsetzen kann. Daran bist du schuld, weil du
sie immer – sei mir bitte nicht böse, wenn ich das sage – mit Samthandschuhen
angefasst hast.«
Ich bin nicht böse, da mir schon klar ist, dass sich jede Kritik
Adrianis an Katerina zu guter Letzt gegen mich richtet. Mit einem Mal habe ich
das Gefühl, jetzt sei der richtige Augenblick gekommen, ihr vom Gespräch mit
Gikas zu berichten. Als kleiner Lichtblick, sozusagen.
»Da gibt es noch etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe.
Vielleicht hätte ich es vor Katerina tun sollen, aber ich wollte, dass du es
zuerst erfährst.«
»Was denn?«, fragt sie ohne großes Interesse, in Gedanken immer noch
bei Katerina.
»Gikas hat vor, mich für eine Beförderung vorzuschlagen. Er will
mich als Kriminalrat empfehlen.«
Sie blickt mich ungläubig an. »Was? Das
hat Gikas gesagt?«
»Ja, vorgestern. Aber ich habe dir noch nichts erzählt, weil ich dir
die Enttäuschung ersparen wollte, wenn vielleicht doch nichts draus wird.«
»Hoffentlich klappt es, Kostas, das würde mich sehr freuen. Aber was
hat das mit Katerina zu tun?«
»Wenn ich tatsächlich befördert werde, dann kann ich ihr viel eher
eine Stelle verschaffen. Und dann kann sie in Griechenland bleiben.«
»Aber das sind doch ungelegte Eier«, meint sie dann – nicht in
zänkischer Absicht, sondern mit der skeptischen Miene eines Menschen, der nicht
mehr daran glaubt, dass ihm so schnell etwas Gutes widerfahren wird.
»Wie meinst du das?«
[70] »Weil es nicht so weit kommen wird. Sie werden dich nicht
befördern, wenn es andere Kandidaten gibt, die über bessere Beziehungen
verfügen. Gikas hat eine Schwäche für Leute mit Vitamin B.«
Jetzt habe ich langsam genug. Zuerst die Geschichte mit Katerina und
nun das. Ich gehe auf die Barrikaden. »Du hast nie an mich geglaubt!«, rufe
ich. »Du hast nie daran geglaubt, dass ich es nach ganz oben schaffen könnte.
Du behandelst mich wie einen
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