Zahltag
Versager!«
»Da irrst du dich gewaltig«, entgegnet Adriani besonnen. »Nicht nur,
dass ich an dich glaube, nein, ich bin sehr stolz auf dich. Weil du tüchtig
bist und weil du keine Spielchen spielst. Wenn du ein bisschen lavieren, ein
bisschen schleimen würdest, wärst du – bei deinen Fähigkeiten! – schon längst
aufgestiegen. Aber du tust es nicht, und das bewundere ich. In diesem Land sind
nun mal die Tüchtigen immer die Gelackmeierten. Nimm unsere Tochter zum
Beispiel. Sie ist begabt, zuverlässig und gut ausgebildet. Und wo landet sie?
In Uganda. Du bist fähig und kompetent und bleibst doch ewig auf deinem Posten
sitzen. Finde dich damit ab, du gehörst zu den Aufrechten und Gelackmeierten,
Kostas. Zu denen, die immer als Einzige ins Rennen gehen und trotzdem als
Zweite ins Ziel kommen.«
Sie hält inne, zieht mich an sich und legt den Kopf an meine
Schulter. So bleiben wir sitzen, wie zwei einsame Eulen, und malen uns den
Abschied von Katerina aus, der uns möglicherweise bald bevorsteht.
Was versprach man uns noch gleich? »Noch bessere Zeiten«.
[71] 9
Hätte ich gestern Nachmittag auch nur geahnt, was mich zu
Hause erwartete, wäre ich im Büro geblieben und hätte gleich die Journalisten
informiert, um diese lästige Pflicht los zu sein. Unausgeschlafen und mit dem Gefühl,
dass mir ein Felsblock auf der Seele liegt, biege ich nun um die Ecke und sehe
sie schon im Flur herumlungern. Den Medienvertretern Rede und Antwort zu stehen
ist so ungefähr das Letzte, worauf ich gerade Lust habe. Widerwillig finde ich
mich damit ab, dass die Reporter, Heckenschützen gleich, in mein Büro stürmen.
Dann nehme ich Platz und warte auf die ersten Gewehrsalven. Unter den Besuchern
erkenne ich Sotiropoulos, der an seinem Lieblingsplatz, gleich neben der Tür,
Position bezogen hat.
»Gibt es schon Erkenntnisse zum Mord an dem Chirurgen Dr.
Korassidis?«, fragt ein junger Mann in Jeans und T-Shirt.
»Nun, er wurde gestern Morgen auf dem antiken Kerameikos-Friedhof
gefunden.«
»Ist die Todesursache schon bekannt?«
»Ja, man hat ihm Gift gespritzt.«
»Sind Sie sicher, dass er nicht an den Chemikalien gestorben ist,
die ihr gegen Demonstranten einsetzt?«, spöttelt eine lange, dürre und
ansonsten farblose Reporterin.
»Was soll der Unsinn, Marietta?«, zischt Sotiropoulos ihr zu, und
zwar so laut, dass ich es hören kann.
[72] »Jetzt tu nicht so, Sotiropoulos«, erwidert die Dürre. »Gestern
haben sie im Stadtzentrum die Chemiekeule geschwungen und fast die halbe Stadt
vergiftet, nur um fünfzig Randalierer auseinanderzutreiben.«
»Unfug!«, beharrt der erfahrene Sotiropoulos, denn er weiß genau,
wann der geeignete Zeitpunkt zum Angriff da ist und wann nicht.
Obwohl Sotiropoulos seine Kollegin in die Schranken gewiesen hat,
bringt mich in meiner derzeitigen Verfassung die winzigste Kleinigkeit auf die
Palme.
»Also, folgende Fakten liegen uns vor: Der Chirurg Athanassios
Korassidis wurde gestern um acht Uhr morgens auf dem antiken
Kerameikos-Friedhof ermordet aufgefunden. Einer der Wärter hat ihn entdeckt.
Laut Autopsiebericht wurde ihm Gift in den Nacken injiziert. Der Mord muss am
Vorabend zwischen sieben und neun Uhr passiert sein. Das ist der Stand der
Dinge, mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Was für ein Gift wurde verwendet?«, hakt der junge Mann in Jeans
und T-Shirt nach.
»Wir warten noch auf das Ergebnis aus der Gerichtsmedizin. Ich habe
alles gesagt, was ich weiß.«
Ich erhebe mich von meinem Schreibtisch zum Zeichen, dass meine Zeit
begrenzt ist. Sie verstehen meine Geste und begeben sich langsam zur Tür.
»Du mit deinen dummen Bemerkungen!«, meint die Prokopiou, eine fast
ebenso erfahrene Reporterin wie Sotiropoulos.
Die Dürre zieht den Kopf ein und schleicht hinaus, die Übrigen
folgen ihr. Reglos beobachtet Sotiropoulos ihren [73] Exodus. Wie immer bleibt er
als Letzter in meinem Büro zurück. Die anderen wissen, dass nun ein privates
Frage- und-Antwort-Spiel folgt, doch sie wagen nicht, dagegen aufzubegehren, da
er der Papst der Journalisten ist.
»Heutzutage schickt man diese dummen Gören los, die von Tuten und
Blasen keine Ahnung haben. Überall wittern sie Skandale und bilden sich auch
noch etwas darauf ein«, beginnt er. »Die Fernseh- und Radiosender und auch die
Zeitungen drängen sie immer mehr in diese Richtung. Früher setzten uns die
Chefredakteure auf die Spur von guten Storys, heute geben sie die Losung aus,
möglichst handfeste Skandale an Land
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