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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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weiter.«
    Sie antwortet nicht sofort, sondern versucht erst einmal, sich die
Person wieder vor Augen zu rufen, mit der sie bis vor zwölf Jahren verheiratet
war.
    »Thanos hatte eine gute und zwei sehr schlechte Seiten«, stellt sie
schließlich fest. »Die gute war seine Begeisterung für Kunst. Wenn er über
Gemälde sprach, wurde er – selbst in unserer kaputten Ehe – ein anderer Mensch.
Doch sobald es nicht mehr um Malerei ging oder der Rundgang in seiner Galerie
beendet war, war er wieder ganz normal, das heißt herablassend und voller Verachtung
für alle anderen.«
    »Und die beiden schlechten
Eigenschaften?«
    »Seine anderen Leidenschaften: Geld und Frauen«, antwortet sie, ohne
zu zögern. »Er war unglaublich raffgierig. Er selbst behauptete, er brauche das
Geld, um seine Kunstsammlung zu erweitern, doch das war nur die halbe Wahrheit.
Geld verlieh ihm Einfluss und Macht über andere. Sie werden gehört haben, dass
er ein hervorragender Chirurg war. Das stimmt, aber er ließ seine Patienten
dafür bluten. Nur die Reichsten genossen das Privileg seiner Behandlung. [59]  Arme Leute oder der Mittelstand hatten nur eine Chance, wenn sie einen Kredit
aufnehmen konnten.«
    »Aber wie passen da die Frauen ins
Bild?«
    Sie lacht auf. »Das war mein persönliches Martyrium, Herr Kommissar.
Er hat mich tagtäglich hintergangen. Wenn er eine Frau bekommen wollte, hat er
alle möglichen Mittel eingesetzt, um sie zu erobern: Versprechungen,
Erpressung, Geld. Waren Sie schon in seiner Praxis?«
    »Noch nicht.«
    »Sie war zugleich sein Liebesnest. Dorthin hat er sie gebracht,
normalerweise abends, wenn seine Sekretärin gegangen war, aber auch an den
Wochenenden. Jetzt, da er allein lebt, nimmt er sie mit nach Hause. Nur wenn
seine Töchter in Athen sind, greift er wieder auf die Praxis zurück.«
    In ihrer Verwirrung spricht sie im Präsens von ihrem Exgatten, als
wäre er noch am Leben.
    »Woher wissen Sie das, wenn Sie keinen Kontakt mehr zu ihm haben?«,
frage ich sie.
    »Das habe ich von Frau Anna gehört. Sie war mein einziger
Lichtblick, als ich noch mit Thanos zusammenlebte. Und aus meinem alten Leben
ist sie die einzige Person, zu der ich noch Kontakt habe. Haben Sie mit ihr
gesprochen?«
    »Nur ganz kurz.«
    »Sie müssen sich ausführlicher mit ihr unterhalten. Sie ist sehr
diskret, aber wenn Sie sie dazu bringen, den Mund aufzumachen, können Sie viel
von ihr erfahren.«
    Plötzlich fällt mir Frau Annas Ausspruch »Herr, behüte meinen Mund
und bewahre meine Lippen!« ein. Langsam verstehe ich, was sie damit sagen
wollte.
    »Wissen Sie, wie ich mich für all das gerächt habe, was er [60]  mir
angetan hat?«, fragt mich die Petropoulou plötzlich aus heiterem Himmel. »Ich
habe ihn mit dem Installateur betrogen, der das Bewässerungssystem im Garten
der Villa in Ekali eingerichtet hat. Drei Tage lang war er jeden Tag da, sobald
ich nachmittags vom Labor nach Hause kam. Am dritten und letzten Tag habe ich
ihn verführt. Als Thanos spätabends heimkam, fragte ich, ob er ihn bezahlt
hätte. Und als er bejahte, sagte ich: ›Gott sei Dank, weil du ihm keinen
Groschen gegeben hättest, wenn du gewusst hättest, dass wir miteinander
geschlafen haben.‹«
    Es macht ihr sichtlich Spaß, daran zurückzudenken. »Er begann
herumzubrüllen und drohte, mich umzubringen. Ich sagte kein Wort. Am Schluss
ging ich einfach ins Schlafzimmer hoch, packte einen Koffer mit meinen
persönlichen Habseligkeiten und verließ das Haus. Seit damals habe ich weder
Thanos noch meine Töchter wiedergesehen. Anfangs, weil er es mir verboten
hatte, später aber, weil ich selbst nichts mehr mit meiner Vergangenheit zu tun
haben wollte. So groß war dieser Wunsch, dass ich Michalis, den Installateur,
gleich nach meiner Scheidung geheiratet habe.«
    Mein Gesichtsausdruck scheint sie zu belustigen. »Ich weiß, was Sie
jetzt denken, Herr Kommissar. Eine Ärztin und ein Installateur – wie soll das
gehen?« Und ernster fährt sie fort: »So unterschiedlich sind wir eben gar
nicht. Was bin ich denn schon? Eine Mikrobiologin im öffentlichen Dienst, die
es gerade mal zur stellvertretenden Laborleiterin gebracht hat. Und mein Mann
ist Installateur. Wir sind beide kleine Leute, wir passen also wunderbar
zusammen.« Einen Augenblick hält sie inne, dann spricht sie weiter: »Wenigstens
sprechen meine jetzigen Schwiegereltern [61]  voller Stolz von mir als ›unserer
Frau Doktor‹, wogegen Thanos mich als ›armselige Kassenärztin‹

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