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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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ihn vor die Tür zu setzen. Andere unliebsame
Vorfälle gab es nicht.«
    »Dann erzählen Sie mir jetzt etwas über
die Töchter.«
    »Haben Sie ihre Schlafzimmer gesehen?«, fragt sie mich.
    »Ja, warum?«
    »Das sagt doch alles. Thalia, die Ältere, ist haargenau wie ihr
Vater: kalt, unpersönlich, unnahbar. Dora, die Jüngere, ist die mit den
Kuscheltieren auf dem Bett.« Nach einer kleinen Pause meint sie: »Der Apfel
fällt nicht weit vom Stamm, Herr Kommissar.«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Sie ist genau wie ihre Mutter: warmherzig, entgegenkommend, immer
mit einem Lächeln auf den Lippen. Hätte Frau Soula Kontakt zu ihren Kindern,
würde sie Dora auf Anhieb mögen.«
    [77]  »Vielen Dank, Frau Anna, das war’s auch schon«, sage ich zu ihr.
Dann begleite ich sie zu Koula hinüber. »Erzählen Sie meiner Assistentin genau
dasselbe wie mir, nur fassen Sie sich etwas kürzer und lassen Sie die ganzen
Einzelheiten weg. Wenn Sie Ihre Aussage unterschrieben haben, können Sie
gehen.«
    Jetzt ist es an der Zeit, Korassidis’ Praxis einen Besuch
abzustatten. Dafür würde ich jedoch ungern meinen Privatwagen nehmen, da ich
mich in meinem Zustand nicht auf meinen Verstand und meine gesunden Reflexe
verlassen kann, wenn wir auf eine Straßensperre treffen. Deshalb weise ich Dermitsakis
an, einen Streifenwagen zu bestellen und Dimitriou von der Spurensicherung
aufzubieten sowie Korassidis’ Sekretärin, einer gewissen Lefkaditi, unseren
Besuch anzukündigen. Da zwischen Vlassopoulos und Dermitsakis ein
unterschwelliges Konkurrenzverhältnis herrscht, nehme ich mal den einen, mal
den anderen zu den Ermittlungen mit, um das Gleichgewicht zu wahren.
    Die Privatpraxis liegt in der Karneadou-Straße 9. Da wir nirgendwo
aufgehalten werden oder steckenbleiben, läuten wir bereits zehn Minuten später
bei der Praxis. Eine weißhaarige Sechzigjährige öffnet uns die Tür. Korassidis
hatte vielleicht sonst eine Schwäche für junge Mädchen, aber als Angestellte
zog er wohl weißhaarige Sechzigjährige vor.
    »Sind Sie Frau Lefkaditi?«, frage ich.
    »Richtig.«
    »Seit wann arbeiten Sie hier?«
    »Seit Anfang 2000.«
    »Was war genau Ihr Aufgabenbereich in der Praxis?«
    »Der Herr Doktor hatte ab vier Uhr nachmittags [78]  Sprechstunde, doch
ich war jeweils schon um elf Uhr vormittags hier, hauptsächlich, um Anrufe zu
beantworten und Termine zu vereinbaren. Mittwochs war mein freier Tag, da war
die Praxis geschlossen.«
    »Haben Sie in den vergangenen Jahren irgendetwas Auffälliges
beobachtet? Oder auch speziell in den letzten Tagen?«
    »Nein, nichts. In die Praxis kamen nur unsere Patienten. Der Herr
Doktor hatte manchmal auch Termine mit Pharmavertretern, aber immer erst nach
den Sprechstunden.«
    »Sind Sie geblieben, bis alle Patienten und auch die Pharmavertreter
gegangen waren?«
    »Was die Patienten betrifft, ja. Aber wenn Vertreter bei ihm waren,
hat er mich für gewöhnlich nach Hause geschickt und die Praxis dann selbst
abgeschlossen.«
    »Erinnern Sie sich, wann Dr. Korassidis zum letzten Mal einen
solchen Besucher empfangen hat?«
    Die Antwort kommt prompt. »Ja, am Vorabend seines gewaltsamen
Todes.«
    »Waren Sie bis zum Ende des Besuchs
hier?«
    »Nein, ich habe früher Feierabend gemacht. Ich habe den Besucher
noch in Dr. Korassidis’ Büro geführt und bin dann gleich nach Hause gegangen.«
    Ihre Antwort lässt meine betäubten Sinne wieder zum Leben erwachen.
Wie es scheint, hat sich der Mörder als Medikamentenvertreter Zutritt
verschafft und Korassidis in seiner eigenen Praxis getötet.
    »Können Sie sich erinnern, wie dieser Vertreter aussah?«, frage ich
die Lefkaditi.
    Sie versucht, ihn sich ins Gedächtnis zurückzurufen.
    [79]  »Er war mittelgroß, mit graumelierten Schläfen. Er trug einen
Anzug und hatte den üblichen Musterkoffer dabei.«
    »Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen, als Sie am nächsten Morgen in
die Praxis kamen? Irgendetwas Ungewöhnliches?«
    »Nein, es war alles wie immer.«
    »Dann würde ich jetzt gerne die Praxisräume sehen.«
    Gerade als sie den Rundgang beginnen will, läutet es, und Dimitriou
steht mit seiner Truppe vor der Tür.
    Korassidis’ Behandlungszimmer unterscheidet sich nicht im Geringsten
von all den anderen Arztpraxen, die ich in meinem Leben schon gesehen habe. Es
enthält einen Schreibtisch, zwei Stühle und eine Liege, die sich in einer
Nische befindet. Auf dem Schreibtisch steht ein Computer, während an der Wand
eine Vorrichtung zur Ansicht

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