Zahltag
Leiche führt. Der Mörder hat sie in einem schmalen
Korridor zwischen einer umgestürzten Stele und ein paar Marmorblöcken
platziert.
Der Tote liegt genauso da wie Korassidis – mit vor der Brust
gekreuzten Armen. Nur dass er Mitte vierzig und somit jünger ist. Sein
Dreitagebart ist genauso angesagt wie seine Kleidung: Jeans, Mokassins,
Polohemd und schicke Jacke. Alles macht einen sündhaft teuren Eindruck.
»Haargenau wie Korassidis, nur trägt er andere Klamotten«, bemerkt
Dermitsakis neben mir und bestätigt meinen Eindruck. Dann schaue ich mich um.
Auch hier stehen Zypressen, rechts von uns erstreckt sich eine Art Park. Auf
einer Anhöhe erkenne ich eine kleine Kapelle mit einem Glockenturm.
»Touristen haben ihn gefunden, sagen Sie?«, frage ich Dakakos.
»Ja, ein englisches Pärchen. Ich habe sie aufs Revier bringen
lassen.«
»Holen Sie sie her. Sie sollen mir vor Ort beschreiben, wie sie ihn
gefunden haben.«
Auf den ersten Blick ist der Mord dem Korassidis-Fall täuschend
ähnlich. Ich bin mir fast sicher, dass ich, wenn ich den Körper zur Seite
drehe, den Einstich der Injektionsnadel an derselben Stelle vorfinden werde.
Dazu kommt, dass auch dieses Opfer nicht hier getötet wurde, sondern –
vermutlich nach Einbruch der Dunkelheit – hierher [120] transportiert wurde.
Wahrscheinlich war die Platzierung der Leiche neben der Stele sogar etwas leichter
zu bewerkstelligen als auf dem Kerameikos, denn die Gegend ist einsamer.
Kriminaltechnik und Gerichtsmedizin nähern sich mit ihren
Transportern, dahinter folgt ein Krankenwagen. Als Erster klettert Stavropoulos
heraus und eilt direkt auf mich zu.
»Jedes Mal, wenn Sie mit von der Partie sind, ist’s wie verhext«,
blafft er. »Beim Kerameikos hatten Ihre Kollegen das Zentrum abgeriegelt, hier
blockieren die Anwohner die Straße. Sie scheinen das Unglück magisch
anzuziehen.«
»Ich weiß, das höre ich nicht zum ersten Mal«, entgegne ich und
denke dabei an Adriani. Bald glaube ich es noch selber, so weit kommt’s noch!
»Werfen Sie mal einen kurzen Blick auf ihn und geben Sie mir eine erste
Einschätzung ab«, sage ich zu Stavropoulos.
»Sieht ganz nach einer Dublette aus. Wie eine dieser offiziellen
Kopien, die man beim Notar beglaubigen lässt. Die Echtheit der Signatur des
Mörders kann allerdings erst die Polizei bestätigen.«
Er öffnet seine Tasche und zieht ein paar Latexhandschuhe heraus.
Damit packt er den Toten an den Oberarmen, dreht ihn auf den Bauch und beginnt,
seinen Nacken abzutasten. Als er den gesuchten Punkt gefunden hat, zieht er ein
Vergrößerungsglas aus seiner Tasche und überreicht es mir.
»Haargenau dieselbe Stelle«, erklärt er.
Als ich mich vornüberbeuge und den Punkt mustere, entdecke ich
wieder das kleine, einem Insektenstich ähnliche Furunkel, das wir schon bei
Korassidis festgestellt haben.
»Somit kann ich Ihnen jetzt schon die Echtheit der [121] Signatur des
Mörders offiziell bestätigen«, meint Stavropoulos zu mir. »Ich nehme mal an,
Sie haben keinen Zweifel, dass er an Schierlingsgift gestorben ist.« Als ich
den Kopf schüttle, fügt er hinzu: »Ich brauche also nichts anderes als den
Todeszeitpunkt zu ermitteln. Ich melde mich bei Ihnen gleich nach der
Obduktion.« Er packt den Toten erneut an den Oberarmen und prüft ihre Beweglichkeit.
»Auf den ersten Blick besehen, muss er ihn zu einem früheren Zeitpunkt als
Korassidis getötet haben. Die Totenstarre ist schon wesentlich weiter fortgeschritten.«
Dimitriou kommt mit Vlassopoulos auf mich zu. »Wonach suchen wir,
Herr Kommissar?«
»Nicht gerade nach dem Schatz des Priamos, den hat ja schon
Schliemann in Troja gefunden. Kurz gesagt suchen wir wieder einmal auf gut
Glück.« Jetzt greife ich auch schon in die Trickkiste mit den antiken
Vorfahren, sage ich mir. Ich bedeute Vlassopoulos, er möge den Toten
durchsuchen. Seine Hosentaschen erweisen sich, genauso wie die Außentaschen
seiner Jacke, als leer. Nur schwer kommt er mit der Hand unter den gekreuzten
Armen des Opfers hindurch an die Innentaschen der Jacke.
»Auch leer«, sagt er. »Nichts zu finden.«
Das gefällt mir ganz und gar nicht, da sich die Identifizierung des
Opfers dadurch verzögert. Darüber hinaus ergibt sich daraus ein erster Unterschied
zum Korassidis-Fall. Örtlichkeit, Giftsorte und Tötungsart stimmen genau
überein, doch Korassidis’ Portemonnaie hat der Mörder, ganz im Gegensatz zu
hier, unangetastet gelassen. Dafür muss es irgendeinen Grund geben,
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