Zahltag
doch es ist
noch zu früh, um darüber zu spekulieren.
[122] Dakakos bringt mir nun die beiden Touristen, ein junges Pärchen
Anfang bis Mitte zwanzig, zum Ortstermin.
»Sie sprechen nur Englisch und Altgriechisch«, bereitet mich Dakakos
vor. »Als sie auf Altgriechisch mit mir reden wollten, habe ich schnell ›You speak English?‹ gefragt. Dann konnten wir uns
verständigen.«
Der junge Mann erzählt, sie hätten die Ausgrabung besichtigen
wollen, da er Archäologie studiere.
»We are Erasmus students«, ergänzt seine
Begleiterin. Zum Glück habe ich von Katerina von den
Erasmus-Austauschprogrammen gehört. »I am doing a master’s
degree on the Eleusinian mysteries, so we visit the site quite often.«
Ich weiß zwar nicht, ob es bei den Mysterien von Eleusis, über
welche die junge Frau ihre Masterarbeit schreibt, auch Menschenopfer gab. Nun
haben sie jedenfalls eins entdeckt. Auf meine Frage, um wie viel Uhr sie den
Toten gefunden haben, blicken sie sich fragend in die Augen.
»It must have been around ten«, sagt der junge Mann schließlich. »We immediately notified the police.«
Da ich keine weiteren Fragen an sie habe, nimmt Dermitsakis ihre
Personalien auf, bevor wir sie entlassen. In der Zwischenzeit haben die
Sanitäter den Toten abtransportiert. Dakakos lässt die beiden jungen Engländer
vom Streifenwagen wegbringen und lotst gleich dahinter den Kleintransporter der
Gerichtsmedizin und den Rettungswagen durch die Straßensperren. Ich überlege,
mich ihnen anzuschließen, damit die Kollegen aus Elefsina nicht zweimal
denselben Weg machen müssen. Doch Dimitrious Stimme hält mich zurück.
»Herr Kommissar, schauen Sie mal, was wir gefunden haben.«
[123] Er steht am Fuße der felsigen Anhöhe, die zur Kapelle hochführt,
und wedelt mit einer Umhängetasche zu mir herüber. Das ist also die Erklärung.
Der Tote hatte nichts bei sich, weil er eine Umhängetasche trug. Doch der
Mörder hat sie nicht am Fundort zurückgelassen, sondern offenbar ein Stück
entfernt abgelegt. Einzig und allein, um uns das Leben schwerzumachen.
Damit hat er uns jedoch unfreiwillig einen wichtigen Hinweis geliefert.
So können wir jetzt davon ausgehen, dass er sein Opfer nicht von der
Nikolaidou-Straße herübertransportiert hat, sondern weiter hochgefahren ist und
den Toten über die Felsen heruntergeschafft hat, um ganz sicherzugehen, ja
niemandem zu begegnen.
Als ich mich zu Dimitriou geselle, öffnet er die Tasche und zieht
zwei CD s und die Brieftasche des Opfers hervor.
Im Portemonnaie steckt der Personalausweis des Opfers. Es handelt sich um den
siebenundvierzigjährigen Stylianos Lazaridis. Da sich alles genauso wie beim Korassidis-Mord
verhält, muss sich irgendwo im Internet wohl auch das zugehörige Mahnschreiben
finden. Umgehend rufe ich Koula an. »Finden Sie mir Anschrift und Beruf eines
gewissen Stylianos Lazaridis heraus. Er ist das zweite Opfer. Und dann schauen
Sie nach, ob auch an ihn via Internet eine Mahnung gerichtet wurde.«
»Der Fall wird ja immer kniffliger«, bemerkt Dermitsakis. Ich bleibe
ihm eine Antwort schuldig, denn das ist so klar wie Kloßbrühe.
Koula meldet sich innerhalb von fünf Minuten zurück. »Das war ein
Kinderspiel«, erwidert sie, als ich ihr zu ihrem Tempo gratuliere. »Stylianos
Lazaridis war [124] Universitätsprofessor und Unternehmensberater bei Global
Internet Systems. Der Firmensitz liegt in Psychiko, in der Zervou-Straße 12.«
»Und suchen Sie nach dem Brief«, schärfe ich ihr ein.
Na toll, der Erste war ein Promi-Arzt, der Zweite ein Professor,
jetzt kann ich nur noch hoffen, dass der Nächste, falls es einen gibt, nicht
ein griechischer Popstar ist.
»Und was machen wir jetzt?«, fragt Dakakos.
»Sie kehren zu Ihrem Polizeiposten zurück und tun Ihre gewohnte
Arbeit, und wir zerbrechen uns weiter den Kopf über den Fall.« Dann wende ich
mich an den Fahrer des Polizeiwagens: »Ist die Autobahn wieder frei?«
»Machen Sie Witze, Herr Kommissar? Wer löst in Zeiten wie diesen
eine Straßenblockade gewaltsam auf? Wir warten ab, bis sie mürbe werden und
ganz von selbst die Nase voll haben.«
Daraufhin setzt sich erneut der Streifenwagen an die Spitze, und dem
folgen wir brav.
[125] 16
Nachdem uns der Polizeiwagen bis zur Abzweigung nach
Skaramangas gelotst hat, fahren wir ohne Eskorte weiter. Wir sind guter Dinge,
da wir aufgrund der Straßenblockade freie Fahrt haben. Dennoch kann ein kleines
Stoßgebet nicht schaden, damit wir bis Psychiko
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