Zahltag
nichts vor, der Mörder besänftigt den Volkszorn, der sich gegen
die Steuerhinterzieher richtet. Seine Festnahme nützt momentan keinem. Die
Steuerschuldner werden nicht [242] wegen dem Mörder weiter ihre Schulden
begleichen, sondern weil ihnen der Volkszorn Angst einjagt.«
Mir liegt die Bemerkung auf der Zunge, dass sich von gestern Abend
auf heute seine Argumentation vom ach so effektiven Druck der Regierung auf den
Volkszorn verschoben hat. Doch ich verkneife mir jeden Kommentar.
»Wenn Sie weitere Indizien entdecken, sprechen Sie Ihr Vorgehen
jedes Mal mit mir ab. Darauf bestehe ich«, betont der Minister. »Wenn Sie auf
eigene Faust weiterermitteln, heißt das, dass Sie ohne Rückendeckung von oben
handeln.«
»Selbstverständlich setzen Sie Ihre Bemühungen fort, um eventuelle
Hackerangriffe auf Taxis zu unterbinden«, meint der Vizefinanzminister. »Doch
damit hat es sich auch.«
»Ich glaube, das wär’s«, sagt unser Minister abschließend, und zu
seinem Amtskollegen: »Nicht wahr, Dimos?«
Nach einem zustimmenden Nicken des Vizefinanzministers sind wir
entlassen. Vor dem Eingang des Ministeriums bleiben wir stehen und wechseln
ratlose Blicke. Alle vier – drei Funktionäre aus dem Polizeipräsidium und einer
aus dem Amt für Steuerfahndung – ringen wir nach Worten.
Als Erster bricht Spyridakis das Schweigen. »Ich habe ja mit allem
Möglichen gerechnet, aber das übertrifft all meine Befürchtungen«, erklärt er.
»Heutzutage übertrifft so gut wie alles unsere Befürchtungen«,
entgegnet Lambropoulos. »Der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann, lautet:
Augen zu und durch.«
Sobald wir auf der Dienststelle zurück sind, eile ich direkt in
Gikas’ Büro.
[243] »Was soll ich jetzt tun?«, frage ich ihn. »Soll ich weitermachen
oder die ganzen Ermittlungen einfrieren?«
»Sie tun alles, was nötig ist, um den Leuten Sand in die Augen zu
streuen«, lautet seine Antwort. »Und da Sie eine Menge Freizeit haben werden,
können Sie sich schon mal nach einem guten Schneider für Ihre neue Uniform
umsehen. Die Beförderung haben Sie so gut wie in der Tasche.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
Er lacht auf. »Sie sind naiv, Kostas«, sagt er. »Wieso sollte der
Minister meinem Vorschlag widersprechen? Er weiß ganz genau: Wenn von einem von
uns beiden durchsickert, dass er angeordnet hat, die Ermittlungen in diesem
Fall einzustellen, zahlt er einen hohen Preis. Wie Sie sehen, unternimmt die
Regierung zwar große Anstrengungen, alle möglichen Kosten zu senken, doch ihre
eigene Haut verkauft sie immer noch teuer. Daher wird er meinem Vorschlag folgen,
um seine Ruhe zu haben.« Als ich ihn immer noch dusselig anstarre, bricht er
erneut in Lachen aus. »So läuft es, Kostas. Was glauben Sie denn? Dass Sie
aufgrund Ihrer Verdienste befördert werden? Wieso, glauben Sie, hat sich bis
jetzt bei Ihnen nichts getan?«
Seine Worte klingen überzeugend. Der einzige Grund, wofür man im
griechischen öffentlichen Dienst befördert wird, ist Nichtstun. Und genau diese
Chance serviert mir der Minister auf dem Tablett.
[244] 32
Hätte man mir angekündigt, dass mich zu Hause Gäste
erwarten, hätte ich auf Katerina und Fanis getippt. Mit all den noch offenen
Fragen drängt sich so ein Besuch ja auch fast auf. Sie könnten uns mitteilen
wollen, wo Katerina ihren Posten antreten wird oder auch wann sie abzureisen
gedenken. Weder das eine noch das andere wäre angenehm, aber zu erwarten.
Meine Verwunderung ist groß, als ich mich plötzlich Prodromos und
Sevasti gegenübersehe, Fanis’ Eltern aus Volos. Sie haben mit Adriani im
Wohnzimmer Platz genommen und offensichtlich auf meine Ankunft gewartet.
»Was für eine nette Überraschung!«, sage ich herzlich, da ich die
beiden – und insbesondere Prodromos – sehr mag.
»Tja, der Anlass unseres Besuchs ist leider nicht ganz so
erfreulich, Kostas. Da braut sich ein großes Unheil über unseren Köpfen zusammen«,
antwortet Sevasti.
Jetzt erst dämmert mir, dass ihr Besuch wohl mit Katerinas und
Fanis’ Auswanderungsplänen zu tun hat. Als ich Adriani einen fragenden Blick
zuwerfe, bestätigt sie meinen Eindruck durch ein unmerkliches Kopfnicken.
»In guten wie in schlechten Zeiten muss die Familie zusammenhalten«,
gebe ich vage von mir.
»Schlechter könnten die Zeiten kaum sein«, ergreift Prodromos das
Wort. »Weißt du, was es heißt, wenn dir eines [245] Morgens aus heiterem Himmel
ein Ziegelstein auf den Kopf fällt?«
»Na und
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