Zahltag
befinden wir uns tatsächlich, wie die Dürre es
formulierte, im Blindflug und suchen, weil keine Hinweise vorliegen, auf gut
Glück.
Ich rufe Vlassopoulos und Dermitsakis zu mir, erkläre ihnen, wonach
wir suchen, und ordne an, dass sie eine Liste der Haftentlassenen aus dem
letzten Jahr zusammenstellen. Dort können wir ansetzen und anschließend
entscheiden, ob wir uns weiter darin vertiefen wollen.
Da die Nachforschungen zu den entlassenen Häftlingen zeitaufwendig
sind, beschließe ich, in der Zwischenzeit dem Hotelunternehmer Evangelos
Langoussis einen Besuch abzustatten. Davon erwarte ich mir keine neuen
Erkenntnisse zu unserem mörderischen Steuereintreiber. Aber ich möchte zu gern
erfahren, wieso sich Langoussis für die Zahlung der neunhunderttausend Euro
entschieden hat. Zwar hat sich auch Polatoglou zu demselben Schritt
durchgerungen, aber es ist etwas anderes, wenn sich ein Unternehmer, der [233] illegale Gebäude errichtet, zur Zahlung entschließt, als wenn es der
Eigentümer einer renommierten Hotelkette tut.
Auf meinen Anruf hin werde ich mit seiner Sekretärin verbunden. Ich
lege ihr dar, dass ich Herrn Langoussis sprechen möchte.
»Haben Sie einen Termin?«, fragt sie.
»Nein, aber es geht um ein paar dringende Fragen, die ich ihm im
Zuge unserer polizeilichen Ermittlungen stellen muss.«
»Einen Moment«, lautet die Antwort. Der eine Moment wächst sich zu
einer Wartezeit von fünf Minuten aus, bis die Sekretärin wieder auf mich
zurückkommt. »Herr Langoussis ist leider unabkömmlich und kann Sie nicht
empfangen. Versuchen Sie es morgen noch einmal, vielleicht kann ich dann etwas
für Sie tun und einen Termin einschieben.«
»Haben Sie ihm gesagt, dass es dringend ist?«
»Ja, aber seine Besprechungen sind sehr knapp getaktet, da haben wir
kaum Luft.«
»Na gut, das macht nichts«, sage ich zuvorkommend. »Dann schicke ich
heute noch eine offizielle Vorladung an Herrn Langoussis, dann kann er meine
Fragen morgen im Polizeipräsidium Attika beantworten.«
»Einen Moment«, sagt sie erneut und hängt mich wieder in die
Warteschleife. »Dann kommen Sie am besten gleich, und wir sehen, was sich
machen lässt.«
Bevor ich aufbreche, ersuche ich Koula, nach einem Brief des
nationalen Steuereintreibers zu fahnden, der Langoussis nach der Tilgung seiner
Schulden ›freispricht‹. Schon nach zehn Minuten ist sie fündig geworden. Ich
stecke sowohl das ursprüngliche Mahnschreiben als auch den ›Sündenerlass‹ ein
und mache mich auf den Weg.
[234] Die Büros des Hotelunternehmens Langoussis liegen in der
Voulis-Straße in der Nähe des Syntagma-Platzes, in der zweiten Etage eines
Bürokomplexes im Stil der dreißiger Jahre. Ich nenne der jungen Empfangsdame
meinen Namen, worauf sie mich zu Langoussis’ Sekretärin am Ende des Korridors
schickt.
Die ist Mitte dreißig, hochgewachsen und schick gekleidet. Sie zählt
zu den Sekretärinnen, die schon allein durch die Wahl ihres Outfits von
vornherein klarstellen, dass sie die Vorzimmerdame des Chefs sind. Sie deutet
auf einen Stuhl und lässt mich schmoren. Zum Glück nicht lange, da sie kurz darauf
aus Langoussis’ Büro tritt und die Tür für mich auflässt.
Langoussis ist etwa fünf Jahre älter als seine Sekretärin, trägt
Jeans, ein Hemd ohne Krawatte und ein sportliches Jackett passend zum
Dreitagebart. Er pflegt ganz den dandyhaften Look des modernen Geschäftsmannes,
wie man Lackaffen heutzutage nennt.
Die Begrüßung spart er sich. »Ich hoffe, Sie haben einen triftigen
Grund für Ihren Besuch, Herr Kommissar. Sonst verschwenden Sie nur meine
wertvolle Zeit. Mein Terminkalender platzt aus allen Nähten.«
Ich ziehe das Mahnschreiben des nationalen Steuereintreibers aus der
Tasche, in dem Langoussis zur Zahlung aufgefordert wird, und lege es ohne ein
Wort auf den Tisch. Er liest es mit ausdrucksloser Miene durch.
»Ja, und?«, fragt er, als er damit fertig ist.
»Diesen Brief haben wir im Internet gefunden. Mich interessiert, ob
Sie ihn auch erhalten haben.«
»Nein, den sehe ich zum ersten Mal.«
[235] »Herr Langoussis, ein Arzt und ein Unternehmer, die auch so ein
Schreiben erhalten hatten, der Zahlungsaufforderung jedoch nicht Folge
leisteten, sind jetzt tot. Ein Bauunternehmer hingegen, der gezahlt hat, ist
noch am Leben. Daher ist es für unsere Ermittlungen sehr wichtig zu erfahren,
ob ein solcher Brief auch bei Ihnen eingetroffen ist.«
»Also noch einmal: Den Schrieb sehe ich zum ersten Mal.«
»Wir haben
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