Zahltag
ob, uns hat doch derselbe Ziegelstein getroffen, Prodromos«,
meint Adriani.
»Mir ist unbegreiflich, wie zwei junge Menschen, gut ausgebildet und
frisch verheiratet, wobei der eine auch noch eine sichere Position im
öffentlichen Gesundheitswesen hat, den Entschluss fassen können, bei den Zulus
zu leben«, wundert sich Prodromos.
Die Zulus sind nicht einmal Adriani in den Sinn gekommen, mit Uganda
und Senegal hatte sie die Lage allerdings schon sehr realistisch eingeschätzt.
»Genau deshalb wollen die beiden ja fort. Weil sie gut ausgebildet sind und
sich ein besseres Leben aufbauen wollen.«
»Und dieses bessere Leben wollen sie sich ausgerechnet in Afrika
aufbauen?«, wirft Sevasti ein. »Fanis hat uns gesagt, dass sie ein paar Jahre
bleiben wollen, um der notleidenden Bevölkerung zu helfen. Aber müssen sie
dafür nach Afrika? Hier in Griechenland wächst die Armut Tag für Tag. Und sind
die Patienten der staatlichen Krankenhäuser nicht auch bedürftig? Welcher
zahlungskräftige Grieche vertraut sich denn dem öffentlichen Gesundheitswesen
an? Die Wohlhabenden wenden sich an Ärztezentren oder Privatkliniken. Also
hilft Fanis auch hier bei uns der notleidenden Bevölkerung. Wozu also nach
Afrika?«
»Ihr müsst ihnen ins Gewissen reden, Kostas«, dringt Prodromos in mich.
»Haben wir ja getan, und zwar allen beiden.«
»Ja, aber fasst sie nicht mit Samthandschuhen an, ein wenig
Nachdruck schadet nicht.«
[246] »Glaubst du, wir hätten sie nicht unter Druck gesetzt? Glaubst
du, wir hätten ihnen nicht die Meinung gesagt?«, hält Adriani Prodromos
entgegen.
»Dann war das eben nicht genug«, schlussfolgert Sevasti und wendet
sich an mich. »Du bist doch Polizeibeamter und weißt, wie man Ordnung schafft.
Warum setzt du dich nicht durch?«
»Was soll ich tun, Sevasti? Soll ich ihnen die Pässe abnehmen? Oder
soll ich sie in polizeilichen Gewahrsam nehmen, um sie an der Ausreise zu
hindern? Unsere Kinder sind volljährig. Wenn sie auswandern wollen, kann weder
Militär noch Polizei sie aufhalten.«
»Entschuldigt, wenn ich das sage, nehmt es mir bitte nicht übel«,
sagt Sevasti. »Aber dieses Schlamassel ist allein eurer Tochter zu verdanken,
und damit stürzt sie auch Fanis ins Unglück. Was fehlt ihr denn, dass sie
unbedingt fortwill? Sie muss weder hungern noch betteln gehen. Vielen jungen Leuten
geht es heutzutage noch viel schlechter.«
»Die Schuld liegt auch bei Fanis, Sevasti«, meint Prodromos zu
seiner Frau. »Wir haben ihm immer gesagt, er soll in Volos bleiben, eine Praxis
eröffnen und eine junge Frau aus der Gegend heiraten. Aber er hat darauf
beharrt, Krankenhausarzt in Athen zu werden. Jetzt bekommt er eben die Quittung
dafür.«
Ich merke, wie Adrianis Groll wächst. Ob sie selbst ihre Tochter
kritisiert oder ob es andere tun, sind zwei grundverschiedene Dinge. Genau so
ergeht es uns Griechen auch mit Griechenland. Wir selbst lassen kein gutes Haar
an unserem Land, doch sobald jemand anderer scharfe Kritik äußert, verteidigen
wir es mit Zähnen und Klauen.
[247] »Moment mal, Sevasti«, sagt sie zu Fanis’ Mutter. »Auch mir
blutet das Herz bei dem Gedanken, dass sie auswandern wollen, und zwar nicht
nur wegen Katerina, sondern auch wegen Fanis. Nicht nur dein Sohn, sondern auch
meine Tochter hat eine gute Ausbildung. Und wenn sie in Griechenland keine
Arbeitsstelle findet, die ihren Fähigkeiten entspricht, sucht sie sich eben
woanders einen Job.«
»Aber wäre es denn so schlimm, wenn sie bei ihrer Familie zu Hause
bliebe, Adriani? Wäre es denn so schlimm, wenn sie sich um Haushalt, Mann und
Kinder kümmerte? Haben wir denn irgendetwas verpasst, nur weil wir nicht
berufstätig waren?«
Da das Gespräch nun abzugleiten droht, verwandle ich mich rasch vom
Polizisten zum Feuerwehrmann. »Hört mal, das führt doch alles zu nichts. Wenn
sie zur Auswanderung entschlossen sind, werden wir sie kaum daran hindern können.
Vielleicht aber sollten wir alle zusammen einen letzten Versuch machen, sie
doch noch umzustimmen. Lasst uns morgen Abend zusammenkommen, um das Ganze
gemeinsam zu besprechen.«
Doch Sevasti ist in Fahrt gekommen und hat nicht vor, frühzeitig
aufzugeben. »Ich will dich mit meinen Worten nicht kränken, Kostas, aber
Katerina wirkt auf mich nicht im Geringsten wie die Tochter eines Polizisten.«
»Wie sind denn Polizistentöchter?«, frage ich.
»Junge Frauen, die Älteren gegenüber Gehorsam und Respekt zeigen. Katerina
ist sehr eigenwillig. Sie hört auf
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