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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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herausgefunden, dass Sie in den letzten zehn Tagen eine
offene Steuerschuld von 900000 Euro beim Finanzamt beglichen haben.«
    »Und jetzt glauben Sie, dass ich wegen so einem Wisch gezahlt habe?«
    »Nun, die Frage stellt sich schon.«
    Er wirft mir einen langen Blick zu, bevor er antwortet. »Kann es
sein, Herr Kommissar, dass wir in verschiedenen Ländern leben?«, fragt er dann.
    Durch diese Wendung des Gesprächs fühle ich mich überrumpelt, und
ich flüchte mich in eine hilflose Gegenfrage. »Wie kommen Sie darauf?«
    »Weil unser Land in außerordentlich großen Schwierigkeiten steckt.
Daher habe ich es als meine Pflicht angesehen, diesen Betrag jetzt, da er so
dringend benötigt wird, zu zahlen.«
    »Ja, aber die Prüfung durch das Amt für Steuerfahndung hat ergeben,
dass Sie mit dieser Steuerschuld schon jahrelang im Verzug waren, sich einer
Zahlung durch das Einlegen verschiedener Rechtsmittel jedoch entzogen haben.«
    »Und zwar vollkommen legal, Herr Kommissar. Obwohl wir in einer
Demokratie leben, werden bei uns mittlerweile [236]  die Bürger an den Pranger
gestellt, die sich auf Gesetze berufen, die ein demokratisch gewähltes
Parlament verabschiedet hat.«
    »Warum haben Sie ausgerechnet jetzt gezahlt?«
    »Lassen Sie es mich so sagen: Ich habe mich lange geweigert, diesem
Staat auch nur einen Euro in den Rachen zu werfen. Die Behörden verschlingen
Unsummen, ohne den Bürgern irgendeinen Service zu bieten. Alles, was der Staat
einnimmt, geht den Bach runter. Trotzdem ist er unersättlich und verlangt
ständig nach mehr. Aus diesem Grund habe ich ihm nichts gegeben. Jetzt habe ich
gezahlt, um unser Land zu retten. Unser Staat und unser Land sind zwei
verschiedene Dinge. So, wie Sie einen Teil Ihres Gehalts und Ihrer Zulagen
opfern, habe auch ich die Summe gezahlt, die ich schuldig war. Für die Rettung
unseres Landes gibt jeder, was er kann.«
    »Der Mörder behauptet aber, Sie hätten nur gezahlt, weil seine
Drohung gewirkt habe.«
    Ich ziehe das zweite Schreiben aus der Tasche und lege es vor ihn
hin. Als er es durchgelesen hat, hebt er den Blick.
    »Es ist Ihre Pflicht, diesen Mörder zu fassen, Herr Kommissar. Das
ist Ihre Aufgabe, dafür werden Sie bezahlt. Doch statt ihn festzunehmen,
berufen Sie sich auf ihn wie auf einen glaubwürdigen Zeugen!« Dann fügt er
hinzu: »Sorry, aber ich habe viel zu tun und kann dieses sinnlose Gespräch
nicht länger fortsetzen.«
    Ich hätte die größte Lust, ihm die beiden Schreiben in die
Brusttasche seines sportlich-eleganten Jacketts zu stopfen, doch ich denke an
meine Beförderung und nehme Abstand von jeder Art von Rowdytum. Wortlos erhebe
ich mich und [237]  verlasse sein Büro. Diesmal bin ich es, der den Gruß unter den
Tisch fallen lässt.
    Als ich die Treppen hinuntersteige, fällt mir seltsamerweise das
kleine Gedicht ein, das wir in der Volksschule auswendig lernen mussten: »Was
ist unsere Heimat? Sind’s die weiten Ebenen? Sind’s die kahlen Bergeshöhen?
Sind’s die goldenen Sonnenstrahlen? Sind’s die leuchtenden Sterne?« Das Gedicht
endet, soweit ich mich erinnern kann, mit der Aufforderung »Auf auf, ihr
Kinder!«.
    Ich frage mich, wer sich von diesen Zeilen angesprochen fühlt:
Langoussis, Polatoglou, Korassidis oder Lazaridis. Am ehesten vielleicht
Polatoglou, der die Ebenen und Bergeshöhen mit seinen illegalen Häusern
überzieht.

[238]  31
    Als ich von der Ermou-Straße auf den Syntagma-Platz komme,
sind das Gelände vor dem Parlament sowie die beiden den Platz begrenzenden
Querstraßen gesperrt. Nur noch die Stadiou-Straße ist für den Verkehr geöffnet.
    »Was ist jetzt wieder los?«, frage ich den uniformierten Beamten,
der an der Ecke Vassileos-Jeorjiou-Straße und Syntagma-Platz vor einem
Streifenwagen steht.
    »Der alltägliche Tumult, Herr Kommissar. Zweihundert Demonstranten
blockieren den Syntagma-Platz.«
    »Wer ist es diesmal? Empörte Bürger?«`
    »Nein, begeisterte«, erwidert er.
    Ich starre ihn an. »Begeisterte Bürger?« Haben ihn die Strapazen,
die er tagtäglich auf sich nehmen muss, wohl um den Verstand gebracht?
    »Ja, begeistert von diesem nationalen Steuereintreiber. Sie wollen
ihn an der Spitze des Finanzministeriums sehen.«
    Aus der Ferne dringen Parolen an mein Ohr, die seine Worte
bestätigen: »Steuereintreiber an die Macht!« und »Steuerprüfung der
Volksvertreter!«
    Der Vizefinanzminister und der Hotelunternehmer Langoussis mögen ja
die Schlagkraft des nationalen Steuereintreibers

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