Zahltag
Steuereintreibers im Internet statt,
von dem ich vielleicht noch weniger Ahnung habe als Gikas. Das Heft liegt daher
nicht in meiner Hand, sondern ich bin und bleibe von Lambropoulos’ Ermittlungen
abhängig. Wenn er nicht auf einen grünen Zweig kommt, komme ich es ebenso
wenig.
[261] Der Mut der Verzweiflung bringt die größten Plattitüden, aber
auch die besten Einfälle hervor. Vielleicht stehen die Chancen auch nur fünfzig
zu fünfzig für meine Theorie. Da ich allein nicht weiterkomme, rufe ich meine
Assistentin herein.
»Koula, haben Sie die ganze Korrespondenz des nationalen
Steuereintreibers gebündelt?«
»Natürlich, Herr Charitos. Ich habe sie in einem Ordner auf meinem
Computer gespeichert, aber für alle Fälle auch ausgedruckt.«
»Schön, dann sollten Sie noch einmal probieren, die digitalen
Kontaktdaten des nationalen Steuereintreibers herauszufinden.«
Ihre Miene wirkt wenig begeistert. »Das tut doch bereits die
Abteilung für Computerkriminalität, Herr Charitos. Dort sitzen die Fachleute.
Ich habe als jahrelange Computernutzerin doch nur ein paar Kniffe im Umgang mit
dem Gerät gelernt.«
»Es kann ja nicht schaden, wenn wir es auf eigene Faust auch noch
versuchen, selbst wenn wir keine Spezialisten sind.«
»Nun, da bin ich anderer Meinung.«
»Warum denn?«
»Je mehr Stellen in die Suche involviert sind, desto schneller wird
er auf uns aufmerksam, und desto genauer beobachtet er unsere Aktivitäten. Ganz
besonders, wenn Amateure wie ich am Werk sind. Am besten überlassen wir die
Sache der Abteilung für Computerkriminalität. Abgesehen davon suche ich
natürlich weiter nach eventuellen Mahnschreiben. So bin ich auch mit den
Kollegen verblieben: Ich suche nach neuen Lebenszeichen des nationalen
Steuereintreibers, weil [262] unsere Abteilung viel besser weiß, wonach wir
Ausschau halten müssen. Drei bis vier Mal täglich durchkämme ich sämtliche
sozialen Netzwerke im Internet.«
»Na gut, Sie haben mich überzeugt«, gebe ich schließlich klein bei.
»Aber schicken Sie mir Vlassopoulos und Dermitsakis rüber.«
Es scheint ihr leidzutun, dass sie mir den Wind aus den Segeln
genommen hat, denn sie hält an der Tür inne und wendet sich noch einmal um.
»Soll ich bei der Abteilung für Computerkriminalität nachfragen, ob es neue
Erkenntnisse gibt?«
»Nicht nötig. Das hätte Lambropoulos in der Besprechung bestimmt
erwähnt.«
Kurz darauf sitzen Vlassopoulos und Dermitsakis an Koulas Stelle vor
meinem Schreibtisch, womit ich aus dem digitalen Zeitalter der Hacker direkt
zurück in die Steinzeit der polizeilichen Tretmühle geworfen werde.
»Hat sich aus den Nachforschungen zu den kürzlich aus der Haft
entlassenen Steuerschuldnern etwas ergeben?«
Nach einem kurzen Blickwechsel einigen sich die beiden, wer das Wort
ergreift. Daraus schließe ich, dass es Neuigkeiten geben muss.
»Nichts Besonderes, Herr Kommissar«, antwortet Vlassopoulos.
»Erstens sind es nicht nur einer oder zwei, sondern ganz schön viele. Zweitens
sind die meisten Inhaber von Klein- und Mittelbetrieben, die jahrelang ihre
Steuerschuld nicht abbezahlt haben, da sie glaubten, der träge griechische
Staat würde sie nie drankriegen. Und so haben sie die Zahlung von einer
Gerichtsverhandlung zur nächsten verschleppt. Bis das Gerichtsurteil
schließlich rechtskräftig war [263] und sie im Gefängnis landeten, war ihre
Steuerschuld immer weiter angewachsen.«
»Doch ein Fall ist uns untergekommen, der interessant sein könnte«,
ergänzt Dermitsakis. »Ein gewisser Chomatas.«
»Was ist das Besondere an ihm?«
»Er hatte eine Werkstatt für Gipsabgüsse antiker Motive. Sie wissen
schon: Parthenon- und Theseustempel, Sokratesfiguren, die ganze Palette. Sein
Unternehmen muss floriert haben, da Touristenläden und Museumsshops Stammkunden
bei ihm waren. Mit einem bestimmten Dreh hat er der Kasse für Archäologische
Einnahmen im Kultusministerium Geld abgeluchst. Eines Tages kam man ihm auf die
Schliche, und er wanderte für zwei Jahre in den Knast.«
»Sitzt er immer noch?«
»Nein, er wurde vor sechs Monaten entlassen.«
Ich muss meinen Assistenten beipflichten, Chomatas könnte
tatsächlich von Interesse sein: Im Gefängnis legt er sich einen Plan zurecht,
um sich für das erlittene Unrecht zu rächen. Das Unrecht besteht in seinen
Augen nämlich darin, dass er, der kleine Fisch, in Netz der Justiz zappelt,
während die Finanzhaie ihr Leben in Freiheit in vollen Zügen genießen. Gleich
nach der
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