Zahltag
sie an alle
Anwesenden. Als ich mein Exemplar in Empfang nehme, lese ich:
Herr Minister,
dank meiner unermüdlichen Bemühungen hat der
griechische Staat innerhalb von zehn Tagen 7,8 Millionen Euro eingenommen.
Dabei handelt es sich um eine Summe, die [255] sich zum einen aus hinterzogenen
Steuern, zum anderen aus vom Finanzamt berechneten, jedoch niemals entrichteten
Abgaben zusammensetzt. Dermaßen hohe Einnahmen innerhalb eines so kurzen
Zeitraums wären von einem verfilzten und ineffektiven Staatsapparat wie dem
griechischen niemals erzielt worden.
Hiermit biete ich Ihnen weiterhin meine
Dienste an, um in einer Zeit, in der die mangelnde Steuermoral zu einem
Albtraum für Griechenland geworden ist, die Staatseinnahmen zu steigern.
Sie können gewiss nachvollziehen, dass ich
diesen Service nicht ohne Gegenleistung anbieten kann, da ich mich dabei
persönlich in Gefahr bringe.
Daher fordere ich Sie auf, mir eine
handelsübliche Provision von 10% dieser Einnahmen, also 780000 Euro, zu
entrichten.
Den genannten Betrag hinterlegen Sie mir
morgen um drei Uhr nachmittags in Fünfzig-Euro-Scheinen auf dem Nymphenhügel,
genau fünfzig Meter von dem Eingang der Sternwarte entfernt, in einem Rucksack.
Der nationale Steuereintreiber
Obwohl sich mittlerweile alle das Schreiben durchgelesen haben,
hört man keinen Mucks. Man könnte eine Stecknadel fallen hören, so still ist
es.
»Nun, was meinen Sie?«, fragt der Finanzminister in die Runde, da
keiner bereit ist, das Schweigen von sich aus zu brechen.
»Was sagen Sie, Nikos?«, wendet sich der Polizeipräsident
schließlich an Gikas. So läuft es immer: Fühlen sich die [256] Führungskräfte in
die Enge getrieben, spielen sie den Ball an ihre Untergebenen weiter, um ihr
wertes Hinterteil aus der Gefahrenzone zu bringen.
Lambropoulos kommt Gikas’ Antwort zuvor. »Wenn Sie meine Meinung
hören wollen: Sie sollten zahlen, Herr Minister.«
»Ausgeschlossen, Herr Lambropoulos, dass die griechische Regierung
einem Mörder eine Provision bezahlt«, mischt sich der Minister für Bürgerschutz
ein. »Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn die Medien davon Wind
bekommen?«
»Das ließe sich ja vermeiden«, erwidert Lambropoulos. »Überlegen Sie
sich die Sache, Herr Minister. Wenn Sie zahlen, wird er weitermachen. Damit gewinnen
wir die nötige Zeit, um ihn aufzuspüren. Wenn uns das nicht gleich beim ersten
Versuch gelingt, dann eben beim zweiten Anlauf.«
»Und in der Zwischenzeit mordet dieser Irre weiter.«
»Wenn ich mich recht erinnere, waren wir doch zu der Auffassung gelangt,
dass er keine weiteren Morde begehen wird, solange die Steuerschuldner zahlen«,
wirft Gikas ein.
Anstelle einer Antwort wirft ihm der Minister einen giftigen Blick
zu.
»Ja, aber die Rahmenbedingungen haben sich geändert, wie Sie sehen«,
wendet der Vizefinanzminister ein.
»Was schlagen Sie vor, Herr Sifadakis?«, fragt unser Minister den
Unbekannten, den er uns nun vorstellt. »Herr Sifadakis ist vom Griechischen
Nachrichtendienst EYP .«
»Es ist nicht anders zu erwarten, dass die Polizei das Problem so zu
lösen versucht«, sagt Sifadakis. »Sie hat immer wieder – und in letzter Zeit
sogar vermehrt – mit [257] Entführungsfällen zu tun. Bei Entführungen wird
prinzipiell gezahlt, um das Leben der Opfer nicht zu gefährden, und erst im
Anschluss bemüht man sich um eine Festnahme des Entführers. Hier haben wir es
jedoch weder mit einem Kidnapper noch mit einer Geisel zu tun.«
»Und was folgt daraus?«, fragt der Polizeipräsident. »Sollen wir
einen Rucksack mit Papierschnipseln füllen und obenauf ein paar Geldscheine
legen? Und zuschlagen, sobald er zur Geldübergabe auftaucht?«
»Wer behauptet denn so was!«, erwidert Sifadakis. »Der Mörder stellt
doch genau dieselben Überlegungen an wie wir.«
»Und was folgt daraus?«, will der Polizeipräsident wissen.
»Zunächst einmal können wir davon ausgehen, dass er nicht selbst zur
Geldübergabe erscheinen, sondern einen Strohmann schicken wird. Wenn wir den
schnappen, werden wir feststellen, dass er völlig ahnungslos ist. Er kennt
weder die wahre Identität des Mörders noch sein Versteck. Demzufolge werden wir
nicht so dumm sein, ihn festzunehmen, sondern wir werden ihn frei abziehen
lassen.«
»Sie müssen bedenken, dass er die archäologischen Stätten in Attika
wie seine Westentasche kennt«, werfe ich ein. »Wenn er den Nymphenhügel
ausgewählt hat, dann heißt das, er hat den Fluchtweg
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