Zahltag

alleingelassen und nicht rechtzeitig wahrgenommen, dass ein
konzertiertes Vorgehen all Ihrer Abteilungen erforderlich gewesen wäre.«
    Diesmal wartet er Gikas’ Entgegnung gar nicht erst ab, die ohnehin
nicht gekommen wäre, da auch der Polizeipräsident geschwiegen hat. Dann nimmt
er sich Lambropoulos zur Brust.
    »Herr Lambropoulos, der griechische Staat hat Millionen in die
technische und personelle Aufrüstung der Abteilung für Computerkriminalität gesteckt.
Obwohl das bestimmt keine Fehlinvestition war, hat sich herausgestellt, dass
sie im entscheidenden Moment nicht die erhofften Ergebnisse liefert. Ich bin
zwar kein Fachmann, aber mir ist schleierhaft, wieso Sie so lange brauchen, um
diesen nationalen Steuereintreiber anhand seiner Aktivitäten im Netz
aufzuspüren.«
    Anscheinend hat der Polizeipräsident uns allen ein unausgesprochenes
Schweigegelübde auferlegt, denn auch Lambropoulos macht den Mund nicht auf.
    Mich hat sich der Minister bis zuletzt aufgehoben – vielleicht, weil
er mich als Sahnetörtchen mit kandierter Kirsche betrachtet, obwohl ich mich
selbst eher mit einem Sauerteigbrot vergleichen würde.
    »Herr Charitos, obwohl ich Ihre Analysen und [306]  Anmerkungen zu
schätzen weiß, haben Ihre Ermittlungen bisher keine handfesten Resultate
erbracht. Der Mörder hat bereits drei angesehene Bürger auf dem Gewissen, und
Sie schauen untätig zu.«
    Das war’s wohl, Charitos, sage ich mir, deine Beförderung ist und
bleibt Wunschdenken. Der Minister ist mit seinen Standpauken zu Ende und wendet
sich wieder an die ganze Runde.
    »Eins steht fest: Die Ermordung von Loukas Sissimatos ist ein
schwerer Schlag für das Ansehen der Regierung. Sissimatos war eine exponierte
Persönlichkeit. Er war Gewerkschaftsfunktionär, er war Parlamentsabgeordneter,
und er hat sich mit einem der Prestigeprojekte unserer Regierung, der
Errichtung von Windparks, beschäftigt. Wenn wir parallel dazu den Mord an
Lazaridis betrachten, der Generalsekretär für Technologie und Forschung war,
dann können Sie sich denken, dass der gesamte Ministerrat in Aufruhr ist. Jetzt
werden handfeste Resultate von Ihnen erwartet. Wenn Sie die nicht liefern, und
zwar bald, dann müssen Sie mit Konsequenzen rechnen.« Somit hat er uns allen
die Leviten gelesen und beendet seinen Sermon mit einem trockenen »Also, Sie
sind dran«.
    Als Erster ermannt sich Lambropoulos. Vielleicht deshalb, weil es
ihm nichts ausmacht, zwei Jahre früher pensioniert zu werden. »Es ist
vollkommen nachvollziehbar, Herr Minister, dass Sie nach all den Investitionen,
die in die Bekämpfung der Computerkriminalität geflossen sind, nun
entsprechende Resultate erwarten. Doch die Welt des Internets ist unendlich
weit. Viele nutzen sie, um Zugang zu Informationen zu bekommen, die sie
nirgendwo sonst so [307]  rasch gefunden hätten. Andere wiederum finden dort die
Gelegenheit, ihre verbrecherischen Taten ohne große Anstrengung zu
verschleiern. Manchmal ist es einfacher, einen Straftäter durch ganz
Griechenland zu verfolgen, als ihn im Internet zu jagen. Ich bin sicher, dass
wir dem nationalen Steuereintreiber auf die Spur kommen werden. Aber ich kann
Ihnen nicht garantieren, dass es schon morgen oder nächste Woche so weit sein
wird. Womöglich brauchen wir wesentlich länger. Eins kann ich Ihnen jedoch
sagen: Das ganze Präsidium ist momentan mit nichts anderem beschäftigt.«
    Ermutigt von Lambropoulos’ Beitrag, mischt sich der Polizeipräsident
ins Gespräch. »Dass wir den Mörder unterschätzt haben, stimmt so nicht, Herr
Minister. Ich versichere Ihnen, nicht nur Herr Lambropoulos, sondern auch das
ganze Polizeipräsidium unternimmt große Anstrengungen, um ihn zu fassen. Es
gibt Verbrechen, die innerhalb von vierundzwanzig Stunden aufgedeckt werden, in
anderen Fällen arbeitet die Polizei über Jahre hinweg an der Aufklärung. Der
nationale Steuereintreiber zählt zu den wirklich harten Nüssen.«
    Jetzt ergreift Gikas das Wort und spielt mir den Ball zu. »Kostas,
wiederholen Sie doch dem Herrn Minister, was Sie mir heute Morgen erläutert
haben.«
    Der Blick des Ministers richtet sich auf mich.
    »Zunächst einmal muss ich sagen, dass Herr Lambropoulos die
Problematik treffend umrissen hat, Herr Minister«, sage ich. »Der Mörder
beherrscht alle Tricks im Umgang mit dem Internet. Doch das ist es nicht
allein, er geht dazu auch äußerst methodisch vor. Sobald er ein Opfer [308]  ausgewählt hat, stellt er umfassende Recherchen an und sammelt