Zahn, Timothy - Jagd auf Ikarus
öffnete sie einen Spalt weit.
Nichts schnappte zu, blitzte auf, zischte oder explodierte in meinem Gesicht. Vielleicht wurde ich auf meine alten Tage noch paranoid. Ich stieß leise die Luft aus und öffnete die Kassette ganz.
Es war Geld darin. Neue Hundert-commark-Scheine. Und zwar jede Menge.
Mein Blick ruhte noch für einen Moment auf dem Geld, und dann stellte ich die Kassette wieder auf den Koordinatentisch und öffnete den Umschlag. Darin befanden sich ein paar Karten; die Originale der Zulassungs- und Zollfreigabe-Dokumente, die Cameron mir gestern Abend in der Taverne gezeigt hatte – und ein Blatt Papier mit einer handschriftlichen Mitteilung:
An den Kapitän:
Aufgrund von Umständen, die ich nicht zu vertreten habe, werde ich nun doch nicht in der Lage sein, Sie und die Ikarus zu begleiten. Ich muss deshalb an Ihre Ehre appellieren, dass Sie das Schiff mitsamt seiner Fracht ohne mich zur Erde bringen.
Sobald Sie den Orbit erreichen, nehmen Sie bitte Kontakt mit Stan Avery unter der Vid-Nummer auf, die am Ende der Seite vermerkt ist. Er wird Ihnen dann detaillierte Anweisungen für die Lieferung der Fracht geben und die Schlusszahlung veranlassen. Dieses Arrangement beinhaltet zudem einen beachtlichen Bonus für Sie und die anderen Besatzungsmitglieder, dessen Höhe den ursprünglich vereinbarten Betrag übersteigt – vorausgesetzt, das Schiff und die Fracht werden unversehrt übergeben.
Die Vorauszahlung für Sie alle befindet sich in der Kassette, ebenso das Geld für Brennstoff und die Liegegebühren, die unterwegs anfallen werden. Ich bitte nochmals um Entschuldigung für die Umstände, die diese plötzliche Planänderung Ihnen möglicherweise verursacht. Aber ich übertreibe gewiss nicht, wenn ich sage, dass die sichere Übergabe der Ikarus und ihrer Fracht die größte Leistung darstellen wird, die jeder von Ihnen in seinem ganzen Leben bewerkstelligen wird. Es ist vielleicht sogar die größte Leistung, die irgendein Mensch für den Rest dieses Jahrhunderts bewerkstelligen wird.
Viel Glück, und enttäuschen Sie mich bitte nicht. Die Zukunft der menschlichen Rasse könnte nämlich in Ihren Händen liegen.
Unterschrieben war die Mitteilung mit Alexander Borodin.
Mein erster Gedanke war, dass Cameron mal den Konsum dieser Melodramen und Weltraum-Thriller einschränken sollte, die er sich nach Feierabend immer reinzog. Und der zweite Gedanke war, dass das eine verdammt heiße Kartoffel war, die er mir ohne Vorwarnung in den Schoß hatte fallen lassen.
»McKell?«, ertönte eine Frauenstimme hinter mir.
Ich drehte mich um und sah Tera die Steigung zur Brücke erklimmen. »Ja, was gibt’s denn?«
»Ich wollte mir einmal die Brücke ansehen«, sagte sie und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Ich hatte eigentlich gehofft, dass der Hauptrechner sich hier befände.«
Ich runzelte die Stirn. »Wovon sprechen Sie? Ist er denn nicht drüben im Computerraum?«
»Ja, da ist er schon«, sagte sie und verzog das Gesicht. »Ich hatte aber gehofft, dass dieses Schrottgerät nur der Backup-Computer sei.«
Diese kalten Frettchenfüße trippelten mir wieder über den Rücken. Der Bordcomputer war buchstäblich das Nervenzentrum des gesamten Schiffs. »Wie schrottig ist er denn?«, fragte ich vorsichtig.
»Noah hatte einen besseren auf seiner Arche«, sagte sie unverblümt. »Es ist ein alter Worthram T-66. Keine Entscheidungsunterstützung, keine Sprachschnittstelle, keine Nanosekunden-Überwachung. Eine Programmierung, wie ich sie seit der Oberstufe nicht mehr gesehen habe, weder eine Autonomiefähigkeit noch eine Notbefehlseinrichtung -soll ich fortfahren?«
»Nein, ich weiß schon Bescheid«, sagte ich mit belegter Stimme. Verglichen mit der normalen Raumfahrt starteten wir halb blind, halb taub und leicht benommen – sozusagen wie ein Schlaganfall-Patient. Kein Wunder, dass Cameron es vorgezogen hatte, nicht mit diesem Schiff zu fliegen. »Werden Sie trotzdem zurechtkommen?«
Sie hob die Hände. »Wie ich schon sagte, es sind Reminiszenzen an eine ferne Vergangenheit, aber ich müsste trotzdem in der Lage sein, es hinzubekommen. Aber es wird vielleicht eine Weile dauern, bis ich mich wieder an alle Tricks erinnere.« Sie schaute mit einem Kopfnicken auf den Brief in der Hand. »Was ist das?«
»Eine Mitteilung des ›Fähnleinführers‹«, sagte ich und gab ihr das Schreiben. »Sie hatten Recht; es scheint so, als ob wir diesen Flug allein antreten müssen.«
Sie las die Mitteilung
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