Zander, Judith
mir bald die Tränen, da wusst ich
auf einmal, das ist jetzt für immer und ewig. Sonst braucht man ja nicht
heiraten, oder.
Wir haben Romy dann als Baby
auch gleich taufen lassen, das heißt, nicht gleich, sondern erst über ein
halbes Jahr später, weil Friedhelm das partout nicht wollte und gefragt hat,
»wozu dat denn noch«. Und meine Oma auf der andern Seite, die hat ja die ganze
Zeit schon gedrängelt, dass das Kind nun endlich mal »dööpt warn mööt«, die hat
das gar nicht verstanden, dass wir da erst noch groß drüber nachdachten. Hätt
ich auch gar nicht, wenn Friedhelm nicht auf einmal so stur gewesen war. Da hab
ich mich denn erst mal gefragt, wieso ich das eigentlich unbedingt will. Und
ich könnt das gar nicht so genau sagen. Bloß, dass mir nicht wohl dabei gewesen
war, Romy nicht taufen zu lassen. Man will doch nur das Beste für sein Kind.
Vielleicht war das so was wie sicher ist sicher. So klar wie heute war mir das
noch lange nicht. Ich fand das eben einfach richtig. Und dann haben wir das
auch gemacht, weil ich das so wollte. Und Friedhelm musste mit und versprechen,
sein Kind im christlichen Glauben zu erziehen. Heute denk ich, das war auch
gemein von mir, ihm immer alles so überzustülpen.
Und ich war das ja auch, die
dann bei Arndt angerufen hat und gefragt hat, ob mein Mann nicht kommen kann,
dem gehts schlecht. Und der hat sofort ja gesagt, ohne groß zu fragen, dafür
bin ich ihm heut noch dankbar. Und Friedhelm, der hat auch ja gesagt. Und daran
könnt ich schon sehen, wie weit es mit ihm war. Dass er wirklich Hilfe wollte,
egal, woher. Mit meinem Vadder war das genauso. Als der im Sterben lag. Als ich
diese Angst in seinem Gesicht gesehen hab, seine hohlen Augen, die mich immerzu
angeguckt haben, als wenn er mir was sagen wollte, aber er konnte ja nicht
mehr. Ich weiß nicht, manchmal kam er mir auch ganz weit weg vor, wie schon
nicht mehr ganz hier, aber eine Angst war das in diesen Augen, ich weiß ja
nicht, aber als wenn er sonstwas gesehen hat. Und dann hat er bloß genickt, als
ich ihn gefragt hab, ob ich für ihn beten soll. Er hat bloß meine Hand gedrückt
und ganz doli genickt.
Aber das war später. Das mit
Friedhelm, das muss in dem Jahr gewesen sein, als meine Mudder starb. Schon
Monate vorher hat sie ganz gelb ausgesehen, ganz schlecht, sie hat ja fast nur
noch im Bett gelegen. Meistens zugedröhnt. Ich war nicht mehr oft da. Ich hatte
irgendwie überhaupt keine Kraft mehr. Meine Oma war oft bei uns, sie kam immer
freitags mit dem Einser-Bus, und dann hat sie manchmal geweint, wenns grad
wieder schlimm war mit Traudel. Mit ihrer Tochter. Sie könnt damit nicht fertig
werden. »Nee, mit Traudel, nee, ick versteh dat nich, dat dei nich uphüürn
künn.« Und sie hat mit dem Kopf geschüttelt und auf den Ollen, auf Manni,
geschimpft. Ich glaub, sie hatte wohl wirklich das Gefühl, dass er ihr ihre
Traudel weggenommen hat. Sie war auch gegen die Hochzeit gewesen. Aber wo nun
schon das erste Kind unterwegs war. Dabei war sie selber damals schon mit dem
zweiten schwanger gewesen, als sie endlich ihren Ernst geheiratet hatte. Dafür
hatte sie noch den Arsch von ihrem Vater vollgekriegt. Sie hatte fünf Kinder.
Und sie hat die alle überlebt. Zwei sind ja gleich als Baby gestorben. Die
Leute haben immer irgendwas von Krämpfen gesagt. Epileptische Anfälle? Wer
weiß, wer wusste das schon. Der eine Sohn, der, der aus dem Krieg mit Typhus
zurückgekommen ist und dadran dann auch gestorben, der soll das auch gehabt
haben. Der andere, der war grad mal achtzehn, als er Ende vierundvierzig
gefallen ist. Der war Kanonier. Ich hab immer dieses Foto angeguckt, wo er in
Uniform drauf ist, wo sie hinten drauf die Todesanzeige geklebt hat. Da steht
auch, dass ihr Mann z. Z t. im F elde war und der andere Sohn
vermisst. Schon da gabs eigentlich bloß noch Traudel und sie. Und ich hab immer
dieses runde Jungsgesicht auf dem Foto angeguckt, und die Mütze sah viel zu
groß aus, und ich könnt mir gar nicht vorstellen, dass das mein Onkel sein
sollt.
Und nun lag Traudel im
Krankenhaus, und das war alles abzusehen. Und ich war trotzdem erschrocken,
als mein Vadder eines Morgens bei uns vor der Tür stand. Ich hatte sie am Tag
vorher noch besucht. Meine Mutter. Sie hat kaum die Augen aufgekriegt, die
hatten ihr wohl irgendwas gegeben. »Sonja«, hat sie gesagt, mehr eigentlich
nicht. Das war gar nicht mehr meine Mudder. Aber wie mein Vadder vor der Tür
stand, war mir kotzübel. Ich wusst auf
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