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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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einmal, dass meine Mutter gestorben
ist, ich mein, nicht bloß, dass sie gestorben ist. Sondern dass das meine
Mutter war, als hätt ich plötzlich wieder eine Mutter gehabt, gehabt, ja.
    Meine Oma war grad bei uns,
und wie sie Manni sah, hat sie gleich angefangen zu weinen. Ich könnt das gar
nicht. Ich hab meine Oma angeguckt, wie sie nix gesagt hat und bloß geweint,
und ich musst daran denken, was sie mir erzählt hatte. Als vierundvierzig der
Postbote kam mit dem blauen Brief. Und er kam zu ihr, in ihr Haus. Wie sie da
geschrien hat, nur geschrien, die ganze Zeit.
    Das war zwei Tage vor meinem
Geburtstag, als meine Mudder starb. Und das war heiß, und sie mussten sie fast
sofort unter die Erde bringen. Aber ich hätte sie noch mal sehen können. Ich
hab nein gesagt.
    Sie hat immer bloß gelacht und
abgewunken, wenn ich gesagt hab: Mutti, soll ich mit dir zu Arndt gehen? Sie
hat das überhaupt nicht ernst genommen, oder heruntergespielt, als ob wir alle
gar nicht wüssten, was los ist, als ob wir alle spinnen würden. Oder, ich weiß
nicht. Ich könnt das nie rauskriegen, ob sie das ernst genommen hat. Ob sie
sich ernst genommen hat. Ob sie wusste, was mit ihr los ist. Weiß man was, was
man nicht wissen will?
    Ich kannte Arndt hier in
Bresekow als Seelsorger, aber ich bin zu ihm, weil er damals schon die
Suchtgefährdetenhilfe geleitet hat. Sie haben ihn und seine Familie damals ins
Pfarrhaus geholt, nachdem Maitzahn weggezogen war. Einen neuen Pastor kriegten
sie nicht. Aber Arndt war schon der richtige Mann für die Leute hier, der hat
was gemacht. Ich hatte gehört, dass er schon so manch einen aus der Gosse
geholt hat, dass er das schafft, die Leute trocken zu kriegen. Dass das was mit
Glauben zu tun hatte, das war mir da noch gar nicht so wichtig. Ich wollte,
dass er meinen Eltern hilft. Er hat mir zugehört. Und das hat erst mal mir
geholfen. Er war der Erste, bei dem ich mich nicht geschämt hab für meine
»Alten«. Aber er hat mir ganz klar gesagt: »Die müssen selber herkommen.« Und
dann hat er mit mir gebetet, und das kam mir erst mal komisch vor. Er hat
gesagt: »Ich mach das
nich. Die Leute denken immer, ich mach das, und sind mir denn sonstwie dankbar
und wolln mir den Hintern küssen und kommen hierher, als war ich der liebe
Gott. Ich sag immer, dem da müsst ihr danken, vor dem da müsst ihr uffe Knie falln«,
wobei er so mit dem Finger nach oben gezeigt hat. Er hat so eine Art zu reden.
Und da kam ich mir denn auf einmal ganz schön doof vor. Weil ich das ja wohl
auch gedacht hatte.
    Aber davon hab ich erst mal
gar nix gesagt. Ich hab meiner Mudder bloß immer in den Ohren gelegen, dass ich
mit ihr zu Arndt gehen würde. Da hat sie bloß gelacht. Oder dass er auch
herkommen würde. »Sonja, nu hüür eis up!« Ja ja, was sollten denn da die Leute
denken, nicht wahr. Da könnten die ja nun glatt noch denken, man war
Alkoholiker. Aber das war auch noch was andres. Das war ja wie - wie ein
Zugeben war das gewesen. Meinem Vadder braucht ich erst gar nicht damit kommen.
Der hatte einen Stolz, das war schon bald sprichwörtlich. Der hat nie
nachgegeben. Nie »klein beigegeben«, Manni Stöwsand. So kannte ihn jeder. Er
war nicht unbeliebt, ganz im Gegenteil. Und deswegen war er immer obenauf. Und
das mit dem Trinken, na ja. Da hat man drüber geredet, und denn hat man ihn
wieder eingeladen, oder sich einladen lassen. Großzügig war er. Und sein Wort
galt was. Das wusst er. Gelitten haben sie alle unter ihm, meine Oma, meine
Mudder, meine Geschwister, ich. Aber gesagt hat keiner was. Wir waren uns ja
auch überhaupt nicht einig gegen ihn oder so. Er hatte ja auch seine guten
Seiten. Aber einer hatte immer zu leiden, und der hat dann alleine vor sich
hingelitten, und die andern waren bloß froh, dass sie nix abgekriegt hatten.
Er hatte auch so ein Talent, uns gegeneinander aufzuhetzen. Ganz grün waren
wir uns sowieso nicht, wir waren gar nicht wie Geschwister. Bloß die beiden
Lütten, Elke und Marlies, die haben zusammengehangen. Und Herbert und Siegbert,
die beiden Ältesten, die waren wie Zwillinge. Und selbst die hat er
gegeneinander ausgespielt, einmal hat er sie wie zwei Hähne buchstäblich
aufeinandergehetzt, dass die sich richtig gekloppt haben, bis aufs Blut, draußen
vor der Waschküche, und er hat sich auf die Treppenstufe gesetzt und sich das
angeguckt und den einen und den anderen angefeuert, und die haben gar nicht
gemerkt, wie er sich einen feixt. Und mir hat erst recht keiner

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