Zander, Judith
geholfen, als
er mich um den Tisch gejagt hat und mich zu fassen kriegte und mich an den
langen Haaren gepackt hat und gegen die Küchentür gedonnert, richtig mit dem
Kopf dagegen. Weil ich mal was gesagt hatte. Und meine Mudder hat »Manni!« geschrien
und ist rausgerannt. Und er hat gar nix gesagt, er war jähzornig, aber er hat
nie rumgetobt. Das ging ganz schnell bei ihm, plötzlich hatte er einen, ohne
Vorwarnung. Das war eine ganz kalte Wut bei ihm, eine Wut, mit der man Menschen
umbringt. Da war ich schon fast erwachsen, fast achtzehn.
Ich wollte nur weg. Und
Friedhelm auch. Der hielt das auch nicht mehr aus zu Hause, mit den vielen
Geschwistern, dieser ganzen Unruhe. Für ihn hatte auch nie einer Zeit, so was
kannte er gar nicht. Ich glaub, seine ganze Nervosität, das kommt alles daher.
Als er das damals hatte, diese Depression hatte, und das kam ja wieder da hat
er eigentlich zum ersten Mal über seine Familie geredet. Nicht, dass er mir
vorher nix erzählt hätte, im Gegenteil, die dollsten Schoten, und was sie als
Gören alles angestellt hätten, und wie er seiner Schwester mit dem Feuerhaken
eins übergezogen hat und Küken in der Wäscheschleuder und alles solche Sachen.
Aber wie ihm das ging dabei, ob sich da mal einer um ihn gekümmert, seine
Mutter ihn mal in'n Arm genommen hat oder so, da hat er nie was drüber gesagt.
Ich hab auch nicht gefragt. Wenn er so erzählte, stand mir das Bild vonner
wilden Horde vor Augen, die Plötzen-Bande, furchtbar zwar, aber immer noch
besser als bei uns. Weil ich da so einen Zusammenhalt merkte. Egal, wie Mutter
Plötz sonst so war, und ich kam ja nicht so klar mit ihr, aber ihre Kinder
waren ihr Ein und Alles, da hat sie nix drauf kommen lassen. Das war manchmal
auch nicht mit anzuhören: wie sie auf die Partner ihrer Kinder geschimpft hat,
auf die Leute sowieso, Schuld waren immer bloß die anderen. Und das hat sich so
festgesetzt in denen. So ist Friedhelm auch. Er verdrängt alles bis zum
Gehtnichtmehr.
Ich hatte ihn noch nie so
gesehn, so fremd, wie an dem Tag. Als er zu Arndt ist. Und ich weiß nicht, was
genau da abgegangen ist, ich weiß das bis heute nicht, das war dann schon
wieder sein Geheimnis. Das war schon dunkel, als er endlich wiederkam, regelrecht
reingeschossen kam er, und ich kriegte fast Angst, wie er sofort anfing, alle
Schränke aufzureißen und die Schnapsflaschen rauszuholen. Vor allem, wie viele
das waren! Ich wusste, dass er solche Verstecke hat, ich hatte ab und zu mal
zufällig eins entdeckt, und das war dann immer wie ein Stich, das zuckte so
richtig durch mich durch, wie ein Stromschlag. Wenn da hinter dem Wäschestapel
auf einmal die Buddel G oldkrone stand, halb leer. Ich mocht
die gar nicht anfassen. Aber ich hab sie dann rausgenommen und ins Schnapsfach
gestellt, das hieß schon bei Stöwsands so, dieses Fach, was man so aufklappen
konnte, die Bar, wo die ganzen Gläser drinstehen. Wo das hingehört. Und wenn
er von der Arbeit kam, hab ich gesagt: »Sag ma, weißt du, was ich heut im
Wäscheschrank gefunden hab?«, und dann war der Abend gelaufen. Zuerst hat er
sich nämlich immer doof gestellt, wovon ich denn reden würd und so, dann:
»achso, dat«, und gleich hinterher aber seine Standardantwort: »Na du meckerst
doch sonst bloß wieder!« Und deshalb hätte er sie versteckt, damit ich das gar
nicht erst mitkriege und also keinen Grund zum Meckern hab. Das stimmt ja auch.
Aber warum meeker ich
denn? Weil mir das Spaß macht? Oder weil ich mir Sorgen um meinen Mann mach?
Ich hab mir oft Sorgen gemacht. Das ist auch nicht besser geworden.
Er hat sich nicht mal
geschämt. Das hat mich ja so auf die Palme gebracht. Dass er so tut, als war er
voll im Recht. Vielleicht wollt ich bloß das. Dass er mal zugibt, dass was
scheiße ist, dass er Mist gemacht hat.
Manchmal hab ich auch gar nix
gesagt. Hab die Flasche bloß ins Fach gestellt und gedacht, er muss das doch
merken. Vielleicht wirkt das mehr. Aber am nächsten Tag war der Schnaps wieder
weg, total verschwunden, als war nie was gewesen. Als würd ich unter Hallus
leiden, wie meine Jugendlichen sagen.
Dann wieder Methode
Holzhammer. Hab ich Abendbrot gemacht, und wenn er dann kam, stand die Pulle
auf seinem Platz. Ohne Kommentar. Er hat sie beiseite gestellt und mit dem Kopf
geschüttelt und angefangen, sich ne Stulle zu schmieren. »Hast du nix dazu zu
sagen?«, frag ich. Und er: »Wat soll'ck denn dazu sagen - wenn du dich ma
wieder kindisch benimmst?« Ich?
Einmal hab ich
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