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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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zu ZBO-Zeiten, er hat
keine schiefe Wand gemauert. Aber ich hatte Angst, dass er da auf die schiefe
Bahn gerät. Die meisten da waren doch schon mittags mit lang. Und Friedhelm
hatte auch so manches Mal ne Fahne, wenn ich von der Arbeit kam. Aber das war
doch gang und gäbe damals, doch nicht bloß aufm Bau, da hat auch so manche
Verkäuferin ihren Flachmann in der Tasche gehabt. Sehen wollt das nie einer,
getuschelt wurd immer. Bis das dann irgendwann nicht mehr zu übersehen war, und
dann hat man sie zur HO-Leitung zitiert, und da wurd dann »ein ernstes
Wörtchen« mit ihr geredet, oder sie wurd in ne andre Verkaufsstelle versetzt, F leisch- und W urstwaren , woandershin abgeschoben, wo den lieben Kolleginnen
dann eingeschärft wurde, auf sie aufzupassen, was man den lieben Kolleginnen
natürlich nicht zweimal sagen brauchte, oder sie musste gleich als Klofrau
gehen, das war so der letzte Notnagel. Rausschmeißen ging ja nicht. Bei uns
musste niemand auf der Straße sitzen. Durfte er ja auch gar nicht. Romy hat
mich mal gefragt, wann denn eigentlich die ganzen Leute einkaufen sollten, wenn
alle von morgens bis abends gearbeitet haben.
    »Haben sie ja nicht.«
    »Ja, aber offiziell«, hat Romy
gesagt.
    Keine Ahnung. Friseurbesuch
während der Arbeitszeit war nicht offiziell, aber normal. Es ging doch immer
bloß darum, sich nicht erwischen zu lassen, und nicht darum, irgendwas geheim
zu halten. Wussten ja doch alle Bescheid. Mit dem Saufen genauso.
    Und ich glaub, das war auch
gar nicht sone Angst um Friedhelm, die ich da hatte, sondern mehr wegen den
Leuten. Das könnt ich nicht vertragen, dass er angetrunken im Kindergarten
aufkreuzt, um Romy abzuholen. Ich wollt nicht, dass die so was über meinen Mann
sagen. Die Maurer, ja ja. Reichte schon, wenn die so über meine Eltern redeten,
und das stimmte ja. Die haben gesoffen. Bloß wieso, da hat nie einer nach gefragt.
Ich auch nicht. Ich hab das nicht kapiert, meine Mutter, dass die so schwach
war. Dass die sich von dem Ollen verkloppen lässt und sich dann auch noch das
Saufen von dem angewöhnen. Dass sie nicht mal versucht hat, ihm das
abzugewöhnen.
    Das wird ja mit dem Alter schlimmer,
sagt man. So weit wollt ich das gar nicht erst kommen lassen. Was hab ich auf
ihn eingeredet! Ich hab gedacht, das hilft, wirklich! Oder die andere Masche:
Funkstille. Bock und Auszug ausm Schlafzimmer. Hilft alles nix. Er kommt dann
an und lässt die Ohren hängen und entschuldigt sich und: »Ick weiß gar nich,
wat du hast«, und: »Sonja, nu muss uch ma wieder gut sein«, ja, und dann ist
eben auch wieder gut, bis zum nächsten Mal.
    Und dann kam die Zeit, wo ich
dachte, nun wird wirklich alles gut. Das war, als Friedhelm zum Glauben kam.
Und das war eigentlich eine schlimme Zeit, für ihn. Als er das erste Mal diese
Depression hatte. Wie aus heiterem Himmel, wusste doch keiner, wo das herkam,
am wenigsten er selber. Komisch, ich dachte, das müsste irgendeine ganz klare
Ursache haben. Ich wusste gar nicht Bescheid. Nur, dass das was Seelisches sein
musste. Dass da vielleicht ein Seelsorger helfen könnte. Aber ich dachte, wenn
ich damit ankomm, dann zeigt er mir n Vogel, zu der Zeit. Wann war das? Romy muss
so neun oder zehn gewesen sein. Ich hatte sie einfach zur Christenlehre
geschickt, obwohl Friedhelm dagegen war. Oder es war ihm egal. Er hatte mit
Kirche und so nix am Hut. Obwohl er das von zu Hause aus auch kannte, aber er
sagt, er hat das gehasst, zum »Paster« zu müssen, zum Konfirmandenunterricht,
und da noch was zu lernen. Schule war ja schon schlimm genug. Und dann gibt es
aber so ein schönes Bild von ihm, zum Schießen, wie er da ganz brav in seinem
Konfirmandenanzug schief im Tulpenbeet steht, er nach links, die Tulpen nach
rechts. Oder umgekehrt, von ihm aus gesehen.
    Wir haben kirchlich
geheiratet, weil ich das so wollte, obwohl wir da erst noch zum Eheunterricht
mussten. Und Friedhelm ist brav mit mir da hingegangen, alles mir zuliebe. Weil
das für mich erst die richtige Hochzeit war. Obwohl sich schon alle aufm
Standesamt die Augen ausgeheult hatten. Das fand ich unmöglich. Das war da
sowieso noch so ein Zirkus, weil wir unsere Ausweise vergessen hatten und
unsere Eltern dann ihre vorzeigen mussten, und ich weiß noch, wie mein Vadder
sagte: »Dat is mine Dochter.« Aber wie wir dann gleich hinterher in die
Marienkirche sind und der Hochzeitsmarsch gespielt wurde und wir dann vorm
Altar auf diesen schön geschmückten Hochzeitsstühlen saßen - da kamen

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