Zander, Judith
das alles werden würde mit den Menschen und
so, dass er sich ständig über sie ärgert, wieso hat er sie dann geschaffen?
Was war vor Gott da? Was hat er die ganze Zeit gemacht vor uns? Was ist mit den
anderen Religionen? Die können doch nix dafür, die anderen Menschen, dass sie
woanders geboren sind, wieso sollen bloß wir das Glück haben, zufällig an das
Richtige zu glauben? Und so weiter.
Und da brauch ich überhaupt
nicht kommen mit Sätzen wie: Das musst du eben einfach glauben. Ich weiß, da
könnte sie ausflippen, wenn ich so was sage. »Annehmen«. Das ist das totale
Reizwort für sie. »Das musst du einfach annehmen.«
Vielleicht wars das. Dass sie
das deshalb so abstößt, diese Veranstaltungen. Weil da keiner solche Fragen
stellt, alle bloß dasitzen und auf Arndt gucken. Und dann natürlich wieder
dieses Gruppending. Das hat mich früher oft traurig gemacht. Dass mein Kind so
menschenscheu ist. Dass sie nirgendwo dazugehört. Aber sie will ja gar nicht.
Das hab ich erst viel später gesehen, eigentlich jetzt erst: dass das nix mit
Schüchternheit oder so zu tun hat, jedenfalls nicht nur. Das ist einfach nix
für sie.
Und wir? Für uns ist das alles
Gewohnheit. Ich weiß, dass Friedhelm oft keine Lust hat hinzugehen. »Warum
gehst du dann?«, frag ich. »Arndt zuliebe? Gott weiß sowieso Bescheid.« Ich
auch. Das hat nämlich wieder ganz schön zugenommen. Was er so an Bier trinkt,
und ja nicht nur Bier. Er hatte das eine Weile wirklich ganz ohne
durchgehalten. Bis zum nächsten Verwandtengeburtstag. Immer bis zum nächsten
Geburtstag. Da wird dann unweigerlich eingeschenkt. Und Friedhelm trinkt.
Sollen ja nicht denken, dass er unter Sonjas Fuchtel steht. Dass sie ihn nun
bekehrt hat und zu Arndt schleift.
Er trinkt auch, um schlafen zu
können. Wenn er merkt, dass das kommt, die Depression. Ich merk das immer
daran, wenn er spät noch ein Bier aufmacht. Noch mal rausgeht. Wenn er nix
sagt. Er sagt überhaupt nix mehr. Ich finde bloß wieder die Flaschen, hinterm
Waschpulver, in der Garage.
Aber saufen tun immer bloß die
andern. Über Siegbert, über Jürgen, da können wir uns aufregen, bei jeder Feier
aufs Neue. Das ist schon immer vorprogrammiert. »Mann, die harn aber uch wieder
gekippt!«, sagt Friedhelm, wenn wir nach Hause fahren. Wenn ich fahre und er
mit drei-acht im Turm neben mir sitzt. Ich will das nicht mehr. Diese ständigen
Feiern. Wieso fährt man da hin? Ist doch immer das gleiche Blabla. Siegbert
macht mich blöd von der Seite an, stänkert rum, ich bin sowieso ein rotes Tuch
für ihn, und meine liebe Schwägerin setzt ihr übliches Grinsen auf, zieht die
Augenbrauen hoch, wenn er mal wieder über die Stränge schlägt, und sagt: »Ach,
Siggi«, und kichert. Herbert sitzt feixend in der Ecke. »Und, wie geht dir
dat?«, fragt Elke. Und gackert dann den ganzen Abend mit Marlies rum, wie zwei
Teenager, die sind auch noch nicht weitergekommen als meine Jugendlichen.
Marlies ist jetzt Mitte dreißig, ich hab neulich mal zu ihr gesagt: »Du gehst
auch schon auf vierzig zu«, da war sie eingeschnappt. Hungert sich runter auf
achtundvierzig Kilo und blondiert sich die Haare. Seit Jahren diese
Pudelfrisur. Das blonde Gift. Da lacht sie, wenn wir das sagen. Ein Kerl nach
dem andern. Ich weiß nicht, wo sie die alle herholt. Dass die alle anbeißen,
sie sieht doch schlimm aus. Elke hat früher mal so ein Buch bei ihr gefunden.
Mit Datum und Namen und allem, Kommentaren. Sie hat Buch geführt über die
Macker.
Und dann sitzen wir da überm
Kartoffelsalat. Und haben uns überhaupt nix zu sagen. Wie kommt das? Dass ich
mit denen verwandt bin, dass das meine Geschwister sind? Ganz abstreiten lässt
sich das ja nun auch nicht. Die Augen, der Mund. Ich kann das manchmal gar
nicht glauben: dass ich kein Einzelkind bin. Ich bin eins. Ich hab gar keine
Familie, das ist doch keine Familie. Nur meine eigene kleine, nur wir drei,
wenigstens wir. Hab ich zumindest immer gedacht.
Ich mache mir Sorgen um Romy,
pah! Wer vereinsamt denn hier? Sie ist
jung, sie hat doch noch alles vor sich, alles Schöne. Da würd sie jetzt lachen.
Mama! Sie wird das nicht so machen wie ich: immer da sein, nie nein sagen, sich
überall einbringen, nützlich machen. Und was hab ich davon? Ich weiß, so soll
man nicht denken. Schon gar nicht als Christ. Ich Möchtegern-Christ! Und wo
sind meine Freunde? All meine lieben Christen-Freunde? Wo sind sie denn? Ich
seh keinen. Aber ist man nicht selber schuld? Wir haben uns so
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